Stirb jemand, so erben üblicherweise die engsten Angehörigen. Meist sind dies die Kinder oder Ehepartner. Ein Erbe, dem das Erbe nicht gefällt, kann dieses gem. §§ 1942 ff. BGB ausgeschlagen.
Doch was ist, wenn das Erbe aufgrund mangelnden Wissens über Vermögenswerte ausgeschlagen wird und diese Entscheidung rückgängig gemacht werden soll?
Es ist keine besonders häufig auftretende Konstellation, doch gibt es immer wieder Fälle, in denen der Erbe zu dem Erblasser keinen Kontakt hat. Etwa in Fällen in denen ein Kind seine Eltern seit der frühen Jugend oder Kindheit nicht mehr gesehen hat, ob wegen Adoption oder Obhut des Jugendamts sei dahingestellt.
In einem Fall, den das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt zu behandeln hatte, ging es um eine Frau, die das Erbe ihrer Mutter ausgeschlagen hatte. Erst danach war sie sich gewahr geworden, dass ihre Mutter über einen Betrag von über 70.000 EUR auf einem Girokonto verfügte. Als sie dies herausfand, suchte sie, die Ausschaltung der Erbschaft anfechten.
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Wegen der Alkoholabhängigkeit der Verstorbenen hatte die Klägerin seit ihrem elften Lebensjahr keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter.
Als die Tochter dann am 17.06.2021 von dem Tode und den Umständen des Ablebens ihrer Mutter erfuhr, ging sie davon aus, diese sei mittellos und seit dem Ende ihres Kontakts nur weiter sozial abgerutscht. Von der Kriminalbeamtin war sie nämlich davon in Kenntnis gesetzt worden, dass die Wohnung der Verstorbenen in einem sehr chaotischen Zustand und in keiner guten läge war. Auf eigenes Suchen hin fand die Tochter heraus, dass sich die Wohnung in der Nähe des Bahnhofs befand. Also entschied die Tochter sich, das Erbe auszuschlagen.
Erst im Jahr nach den Tod dann erlangte sie Kenntnis von dem Vermögen, das zu erben ihr möglich war. Entsprechend gesuchte sie die Anfechtung der Ausschlagung der Erbschaft.
Das Nachlassgericht wies den Antrag auf einen Erbschein jedoch zurück, da die Anfechtung der Erbausschlagung unwirksam sei. Mit ihrer Beschwerde dagegen landete die Frau am OLG Frankfurt. Dieses entschied, dass sie ganz zu Recht in dieser Situation ihre Ausschlagung des Erbes anfechten dürfe. (Beschl. v. 24.07.2024, Az. 21 W 146/23)
Das Urteil aus Frankfurt stärkt Erben den Rücken. Auch, da es in einzelnen Fällen schwierig bis unmöglich sein kann, den wahren Inhalt eines Erbes samt aller Vermögenswerte sowie Schulden auf den ersten Blick zu erkennen. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin die naheliegenden Erkenntnismöglichkeiten über die Zusammensetzung des Nachlasses genutzt und diese bewertet.
Die Ausschlagung der Erbschaft kann wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses gemäß §§ 1954, 119 Abs. 2 BGB angefochten werden. Erforderlich ist ein kausaler Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses.
Beschl. v. 24.07.2024, Az. 21 W 146/23
§ 119 Abs. 2 BGB stellt den sogenannten Eigenschaftsirrtum dar. Derjenige, der sich bei einer Willenserklärung über Eigenschaften der Person oder der Sache irrt, "die im Verkehr als wesentlich angesehen werden", kann eine solche Erklärung anfechten. Eine Willenserklärung kann hierbei etwa das Angebot zum Kauf eines Gebrauchswagens sein, oder eben die Ausschlagung eines Erbes.
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Interessant im Hinblick auf die Anwendung des § 119 Abs. 2 BGB ist Folgendes: Allgemein anerkannt ist, dass etwa der Wert oder der Preis einer Sache nicht als verkehrswesentliche Eigenschaft angesehen wird, da sie von Marktschwankungen abhingen und somit nicht wertbildend seien. Dazu führte der Senat im Urteil aus, die Klägerin habe sich "vielmehr über die Zusammensetzung des Nachlasses als Ganzes geirrt, insbesondere über die Existenz der Kontoguthaben" und nicht über den "Wert" als solchen.
Das OLG Frankfurt entschied folglich, dass die Tochter die Ausschaltung des Erbes wirksam angefochten habe.