Verwaltungsrecht 2023: Keine Entschädigung für Anlieger!

Geschrieben von: Henrik Noszka

Der Bau-Boom, der durch hohe Grundstücks- und Häuserpreise ausgelöst wurde, führte auch dazu, dass teilweise Wohnhäuser bezugsfertig waren, bevor das Straßennetz um sie fertiggestellt wurde. Dies hatte interessante Konstellationen zur Folge. Eine solche lag dem Verwaltungsgericht Koblenz vor, das zu entscheiden hatte, wie es sich auswirkt, dass durch die städtischen Straßenbaumaßnahmen die Anwohner ihre Zufahrt ändern müssen.

Der Sachverhalt

Ein Ehepaar errichtete im Jahr 2002 ein Wohnhaus auf einem Grundstück in Rennerod. Zu diesem Zeitpunkt war das Straßennetz in der neu geplanten Siedlung noch nicht fertig gestellt. Lediglich eine geteerte Baustraße schloss das Grundstück des Ehepaars an das öffentliche Verkehrsnetz an. Mittels eines Keils, der teilweise über den Gehweg lief, konnte das Ehepaar ihr Grundstück anschließen. In den Jahren 2014 bis 2016 wandelte die Stadt die Baustraße in eine "richtige" Straße um. Zur Zufahrt von der Straße zu diesem Grundstück entstand dadurch eine etwa 25 bis 30 cm hohe Stufe. Das Ehepaar ist der Ansicht, dass die Stadt für das Absenken der Stufe finanziell aufkommen müsse. 

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Anwendung von § 39 Landesstraßengesetz?

Die virulente Frage in dem Rechtsstreit war, ob § 39 Landesstraßengesetz ("LStrG") Anwendung findet. Die Vorschrift normiert, dass grundsätzlich keine Entschädigung bei einer Änderung des Straßenverlaufes fällig wird. Dagegen kann eine Entschädigung aber anfallen, wenn die Zufahrt zum öffentlichen Straßennetz entzogen wird (weil dadurch das Grundstück an Wert verliert und einer anderen Zufahrt, etwa über ein Nachbargrundstück, bemüht werden muss, was für die Eigentümer teuer werden kann):

§ 39 LStrG Straßenanlieger

(1) Der Eigentümer oder Besitzer eines Grundstückes, das an einer Straße liegt (Straßenanlieger), hat keinen Anspruch darauf, dass die Straße nicht eingezogen, umgestuft oder verändert wird.

(2) Werden durch Änderung oder Einziehung einer Straße Zufahrten oder Zugänge zu Grundstücken auf Dauer unterbrochen oder ihre Benutzung erheblich erschwert, so hat der Träger der Straßenbaulast einen angemessenen Ersatz zu schaffen oder, soweit dies nicht zumutbar ist, eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. [...]

Problematisch ist hier, dass die Straße, die zu Lasten der Eheleute verändert wurde, nur eine Baustraße war. Diese sind von § 39 Abs. 1 LStrG nicht erfasst. Damit waren die Ehepartner nicht Anlieger einer öffentlichen Straße.

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Entsprechende Anwendung von § 39 Landesstraßengesetz?

Das Recht kennt aber die Möglichkeit, dass wenn eine Vorschrift nicht direkt passt, sie unter Umständen entsprechend angewendet werden kann. Das ist der Fall, wenn sich der Fall, in dem die Vorschrift nicht greift und der Fall, für den sie eigentlich erschaffen wurde, derart ähnlich sind, dass sich diese entsprechende Anwendung aufdrängt (vergleichbare Interessenlage). Zusätzlich muss der Gesetzgeber den nicht geregelten Fall "übersehen" haben (planwidrige Regelungslücke). 

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VG Koblenz: Gesetzgeber hat bewusst ungeregelt gelassen

Das Verwaltungsgericht entschied, dass keine entsprechende Anwendung von § 39 Abs. 2 Satz 1 LStrG in Betracht komme. Der Gesetzgeber habe gesehen, dass es einen Unterschied zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Straßen (etwa Baustraßen) gebe und damit bewusst keine Entschädigung für eine Entziehung des Zugang eines Grundstücks zu einer nicht-öffentlichen Straße angeordnet. Dafür führte das Gericht die Entstehungsgeschichte der Regelung sowie § 39 Abs. 4 LstrG an. Danach ist auch eine Entschädigung vorgesehen, wenn bereits der Bau einer Straße zu einer Beeinträchtigung der Anliegergrundstücke führe.

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VG Koblenz: Keine entsprechende Anwendung

Außerdem seien die Konstellationen der Entziehung des Zugangs zu einer Baustraße und der Entziehung des Zugangs zum öffentlichen Straßennetz nicht derart vergleichbar, dass sich eine entsprechende Regelung aufdränge. 

Damit wurde den Eheleuten mangels Entschädigungsnorm keine Entschädigung zugesprochen. 

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Fazit

Gegen das Urteil kann innerhalb der nächsten Monate Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt werden. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Weg von den Eheleuten beschritten wird. Über andere Bundesländer, die zwar ähnliche Regelungen aber nicht inhaltsgleiche Regelungen haben, sagt die Entscheidung nicht viel aus - diese Fälle müssen einzeln beurteilt werden. Allerdings steht fest, dass fast immer eine Entschädigung anfällt, wenn einem Grundstück der Zugang zu öffentlichen Straßen entzogen wird. 

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