Die Proteste der Gruppe "Aufstand der Letzten Generation" und anderen Gruppen, etwa in Lützerath, zogen große mediale Aufmerksamkeit auf sich. Auch deshalb ist die rechtliche Perspektive spannend – juristisch schlug zuletzt ein Urteil des Amtsgerichts Flensburg weite Wellen, wonach ein Klimaaktivist sich wegen "Klimanotstandes" nicht des Hausfriedensburchs wegen Besetzung einer Baustelle strafbar mache. Nun wurde vom Landgericht Berlin ein Aktivist verurteilt, der eine Straße in der Bundeshauptstadt blockierte (Az.: 518 Ns 31/22).
Der Aktivist hatte sich am 4.2.2022 mit anderen Mitgliedern der Gruppe "Aufstand der Letzten Generation" auf einer Hauptverkehrsstraße in Berlin festgeklebt. Der zum Tatzeitpunkt 21 Jährige war im Vorfeld während und nach der Bundestagswahl 2021 durch einen Hungerstreik vor dem Berliner Kanzleramt bundesweit bekannt geworden. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den nun 22 Jährigen wegen versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe von insgesamt 600 Euro. Dagegen legte der Angeklagte Berufung zum Landgericht Berlin ein.
Schon gewusst? Ist AGG-"Hopping" strafbar?
Straßenblockaden sind nichts neues in der Protestgeschichte der Bundesrepublik. Prominent waren vor allem die versuchte Blockade von Atomwaffenlagern gegen Ende des kalten Krieges. Daher beschäftigten sich Gerichte ausführlich mit dem Thema Sitzblockaden und entwickelten eine ausdifferenzierte Lösung, die sogar vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde. Der in Betracht kommende Tatbestand, den die Protestierenden erfüllen könnten, ist der der Nötigung:
§ 240 Strafgesetzbuch Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) [...]
Der Vorwurf lautet, dass die Autofahrer*innen, die wegen der Sitzblockade nicht die ursprünglich geplante Route nehmen können, zu einer Handlung (dem Stehenbleiben) gezwungen werden, weil sie die Protestierenden nicht überfahren können, ohne sich selbst (wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts) strafbar zu machen. Problematisch war allerdings, ob die Protestierenden "Gewalt" ausüben. Über den Begriff entbrannte ein heftiger Streit, vor allem wegen der Frage, ob der psychisch ausgeübte Druck tatsächlich "Gewalt" darstellen könnte, die eher körperlich geprägt sei. Im Zuge dieser Diskussion wurde die sogenannte zweite Reihe Rechtsprechung entwickelt. Nach dieser kann ein Demonstrant wegen einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße nach § 240 StGB strafbar sein, weil er den ersten aufgrund von psychischem Zwang anhaltenden Autofahrer und sein Fahrzeug bewusst als Werkzeug benutzt, um ein physisches Hindernis für die nachfolgenden Autofahrer zu errichten.
Schon gewusst? Strafrecht 2023: "Ku’damm-Raser" scheitert in Karlsruhe
Allerdings müssen die Gerichte genau die Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 Grundgesetz in die Abwägung einfließen lassen. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2011, dass eine landgerichtliche Entscheidung, wonach ein Straßenblockierender wegen Nötigung strafbar sei, verfassungswidrig ist, weil das Gericht die Versammlungsfreiheit in der Abwägung verkannt habe.
Schon gewusst? Strafrecht 2022: "Ungeimpft-Stern" und Volksverhetzung
Das Landgericht entschied, dass die Verurteilung durch das Amtsgericht Tiergarten rechtmäßig sei. Dabei berief es sich auf die zweite Reihe Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Der Angeklagte dürfe sich zwar auf seine Versammlungsfreiheit berufen. Dies rechtfertige es aber nicht, dass in Rechtsgüter Dritter (also der Autofahrer) eingegriffen werde.
Schon gewusst? Strafrecht 2023: Führerscheinentzug wegen Parkverstößen
Ferner führte die 18. Strafkammer des Landgerichts aus, dass das Ziel der Straßenblockade – die Rettung des (Welt)Klimas – für die strafrechtliche Beurteilung unerheblich sei. Zwar sei es grundsätzlich ein "hehres Ziel" - es rechtfertige aber keine gezielte Eingriffe in die Rechte anderer.
Schon gewusst? Ordnungswidrigkeiten 2022: Bußgeld bei verblichenem Parkausweis!
Klimaproteste werden Gerichte noch lange beschäftigten. Das zeigt schon die eingangs genannte abweichende Entscheidung des Amtsgerichts Flensburg auf. Es bleibt spannend, abzuwarten, wie und inwieweit am Ende die Bundesgerichte zu dieser Frage Stellung beziehen und vor allem, wie weit die Versammlungsfreiheit in die Entscheidungen mit einfließen wird.
Bei weiteren Fragen zum Thema Strafrecht stehen wir Ihnen gerne auch persönlich zur Seite. Terminvereinbarungen können Sie während unserer Bürozeiten unter der Telefonnummer 0201-24030 oder per Email unter info@schumacherlaw.com vornehmen.
Ihre Kanzlei Schumacher & Partner
Rechtsanwälte für Strafrecht und Arbeitsrecht in Essen