Kommentarspalten in sozialen Netzwerken sind ein Magnet für mitteilungswütige Kommentierende. Sobald Themen aber auch nur leicht polarisiert sind, vergreifen sich einige nicht nur im Ton, sondern springen förmlich in die Strafbarkeit. Dass die Feststellung der Strafbarkeit nicht immer einfach ist, zeigt etwa die Causa Renate Künast, einer Grünen-Politikerin, die Opfer von Hasskommentaren im Netz wurde und die den Gang bis zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehen musste, um dort feststellen zu lassen, dass Äußerungen wie "Pädophilen-Trulla" vermutlich doch strafbar sind. Das Schwierige ist, dass Gerichte die Meinungsfreiheit hoch werten. Zu ihren Grenzen ein aktueller Fall, der dem Oberlandesgericht Hamm vorlag. Ist ein SS-Vergleich gerichtet auf Polizisten strafbar (Az.: 4 ORs 46/23)?
In Deutschland genießt die Privatsphäre gesetzlich umfassenden Schutz. Den Grundstein dafür bildet das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Das Recht steht nicht ausdrücklich im Gesetz. Es hat sich vielmehr erst durch verschiedene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entwickelt. Es wird aus einer Zusammenschau von Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz ("GG") (der Menschenwürde) und Art. 2 Abs. 1 GG (der freien Entfaltung der Persönlichkeit) gelesen. Es schützt den gesamten privaten Lebensbereich vor (staatlichen) Eingriffen von der sozialen Sphäre (Kontakte zu anderen) über die Privatsphäre (Beziehungen, häuslicher Bereich etc.) bis hin zur Intimsphäre (Tagebücher etc.).
Zur Privatsphäre im weiteren Sinne gehört auch der (alte) Begriff der Ehre. Diese wird umfassend geschützt - der historische Gesetzgeber vom Strafgesetzbuch ("StGB") von 1871 ordnete sie sogar noch vor den Körperverletzungsdelikten ein.
§ 185 StGB bestraft denjenigen, der einen anderen beleidigt, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Allgemein wird als Beleidigung die Kundgabe von Geringschätzung, Nicht- oder Missachtung verstanden. Neben der Beleidigung existieren noch die Straftatbestände der Üblen Nachrede, nach § 186 StGB und der Verleumdung, gemäß § 187 StGB.
Der Unterschied zwischen den Straftaten ist, dass Üble Nachrede und Verleumdung voraussetzen, dass jemand (unwahre) Tatsachen über jemand anderen Verbreitet. Der Tatbestand der Beleidigung knüpft hingegen vorrangig an Meinungen an.
Hinweis: Tatsachen sind dem Beweis zugänglich - können also wahr oder unwahr sein. Meinungen hingegen werden durch das Element des Stellungnehmens charakterisiert.
Der Ehrschutz reicht in Deutschland allerdings weit. Selbst wenn jemand eine wahre Tatsache über jemand anderen behauptet, kann er sich der Beleidigung (§ 185 StGB) strafbar machen. Das ordnet § 192 StGB ausdrücklich an.
Hinweis: Hinsichtlich wechselseitiger Beleidigungen ordnet § 199 StGB an, dass der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären kann.
Beleidigt jemand einen anderen, wird in die Waagschale immer die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG geworfen. Die Meinungsfreiheit steht in einem Spannungsverhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das unter anderem durch die Beleidigungstatbestände zum Ausdruck kommt. So stellt auch § 185 StGB eine Grenze zur Meinungsfreiheit dar.
Dies hat zur Folge, dass gerichtlich eine umfassende Abwägung zu erfolgen hat, ob eine Bezeichnung tatsächlich als Beleidigung zu qualifizieren ist oder nicht. Viele Kommentare können potenziell Geringschätzung, Nicht- oder Missachtung ausdrücken. Die Frage ist nur, wie stark diese sein muss. Dafür hat die Rechtsprechung Kategorien und Hilfestellungen für die Einzelfallprüfung entwickelt. Entscheidend ist danach unter anderem:
Insgesamt besteht viel Raum für Interpretation, ob eine Aussage tatsächlich ehrverletzend ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine umfassende Abwägung vorzunehmen.
Hinweis: Zu Beachten ist, dass etwa die Presse- oder kunstschaffende Personen mehr Schutz genießen, weil ihnen eine zusätzliche Grundrechtsposition zu Gute kommt.
Ein Verschwörungstheoretiker aus Paderborn postete auf Facebook eine Fotomontage. Auf dieser waren je halbseitig ein Foto des Pressesprechers der Hamburger Polizei und des SS-Obersturmführers Werner Ostendorff mit SS-Abzeichen und Totenkopf zu sehen. Der Post wurde im November 2020, in der Hochphase der Corona-Pandemie, verfasst.
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Das Oberlandesgericht Hamm gelangte zur Überzeugung, dass die Fotomontage nicht hinnehmbar sei. Der Vergleich mit einem SS-Verbrecher sei unsäglich. Dieser stelle auch keinen Beitrag zur Meinungsbildung während der Corona-Pandemie. Der Post sei vielmehr ein kommunikatives Tabu.
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Unerheblich sei, ob der Mann die Fotomontage selbst angefertigt habe. Sie habe zwar in den sozialen Netzwerken kursiert. Jedoch könne nicht blind eine schon bestehende Montage gepostet werden. Im Gegenteil würden bei schriftlichen Äußerungen höhere Sorgfaltsanforderungen gelten. Dies gelte nochmals stärker im Internet. Denn ein gänzliches Löschen des Inhalts sei schwierig; das Internet "vergesse" nicht.
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Auch zivilrechtlich können sich Betroffene Personen zur wehr setzen. Wer eine andere Person mit Worten angreift, sie diffamiert und beleidigt, muss damit rechnen, dass er/sie verklagt wird. Denn Beleidigungen verletzten grundsätzlich das grundrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht. Daher kann auch Unterlassung verlangt werden. Ein entsprechender Unterlassungsanspruch kann gerichtlich eingeklagt werden. Das Gericht stellt dann fest, dass der Beklagte die beleidigenden Äußerungen in Zukunft nicht wieder tätigen darf. Bei Zuwiderhandlung kann eine empfindliche Geldstrafe drohen.
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Zwar genießt die Meinungsfreiheit weitreichenden Schutz, aber insbesondere bei krassen Äußerungen, wie NS-Vergleichen, endet er. Das Urteil ist insoweit interessant, als es hervorhebt, dass schriftliche Äußerungen über soziale Medien besonders streng begutachtet werden. Es dürften noch mehr ähnlichgelagerte Urteile auf uns zukommen. Insbesondere, weil die Polizeibehörden nun verstärkt gegen Hasskommentare in sozialen Netzwerken vorgehen. Wie etwa Ende 2022 mit dem Aktionstag "Hass im Netz".