Strafrecht 2023: Die letzte Generation - eine kriminelle Vereinigung?

Geschrieben von: Henrik Noszka

Die Klima-Bewegung "Letzte Generation" sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Unter anderem mit ihren Blockaden in Berlin wurde die Bewegung bundesweit bekannt. Sogar Olaf Scholz äußerte sich zu der "Letzten Generation" und nannte sie "völlig bekloppt". Neue Schlagzeilen erntete die "Letzte Generation" nach der Durchführung einer durch die bayrische Generalstaatsanwaltschaft angeordneten bundesweiten Razzia. Die Vermutung, die letzte Generation stelle eine "kriminelle Vereinigung" dar. Ist etwas dran an dem Vorwurf?

Was ist passiert?

Am frühen Morgen des 24.05.2023 durchsuchten 170 Polizist*innen in sieben Bundesländern insgesamt 15 Wohnungen. Zudem beschlagnahmte die Polizei Konten der Protestierenden und legte ihre Website offline. Der Grund dafür: Die Generalanwaltschaft in Bayern ermittelt gegen sieben Mitglieder der "Letzten Generation" wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. 

Beachtenswert war auch noch ein Hinweis, den die Polizei auf der Website der "Letzten Generation" hinterließ: 

Die Bemerkung rief eine Welle der Kritik vor allem aus juristischen Kreisen hervor. Denn die Staatsanwaltschaft legt nicht fest, ob eine kriminelle Vereinigung besteht. Das ist Aufgabe der Gerichte. 

Aber unabhängig davon bleibt die kontroverse Frage bestehen - ist die letzte Generation eine kriminelle Vereinigung?

Bildung einer kriminellen Vereinigung

Die Anforderungen, wann eine kriminelle Vereinigung vorliegt, sind im Strafgesetzbuch ("StGB") geregelt.

§ 129 StGB Bildung krimineller Vereinigungen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.

(2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.

Damit eine kriminelle Vereinigung vorliegt, muss der Zweck einer Vereinigung, also ein auf längere Dauer angelegter organisierter Zusammenschluss mehrer Personen (siehe Absatz 2), sein, Straftaten zu begehen, soweit die Straftaten mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.

Sollte die "letzte Generation" als kriminelle Vereinigung gerichtlich eingestuft werden, sind auch alle Unterstützer*innen der Vereinigung strafbar. Dazu zählen eventuell auch einfache Spender*innen.

"Letzte Generation" = kriminelle Vereinigung

Vorweg: Die Frage, ob die Mitglieder der "letzten Generation" § 129 StGB erfüllen können letztendlich nur die Gerichte beantworten. In der gegenwärtigen Diskussion lässt sich noch keine klare Linie feststellen. Daher im Folgenden die wesentlichen Aspekte und Streitpunkte.

Zunächst gilt, dass die Straftat, die den Mitgliedern der "Letzten Generation" vorgeworfen wird, Nötigung gemäß § 240 StGB mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Auch andere Straftaten, die den Mitgliedern vorgeworfen werden, etwa gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, § 315b StGB oder gemeinschädliche Sachbeschädigung, § 304 StGB erfüllen den Strafrahmen.

Am wichtigsten ist jedoch Nötigung, da dieser Straftatbestand bei einer Straßenblockade am nächsten liegt und am häufigsten vorkommen sollte. 

Hinweis: In diesem Beitrag haben wir die erste Verurteilung eines Mitglieds der "letzten Generation" besprochen und auch zur Frage der Strafbarkeit Stellung bezogen.

Problematisch ist jedoch, ob die Aktivist*innen überhaupt der Nötigung strafbar sind.

Die Klimaaktivist*innen berufen sich nämlich auf den Klimaschutz und argumentieren entsprechend, ihre Handlungen seien gerechtfertigt. Im Strafrecht können einzelne Handlungen gerechtfertigt sein, etwa wenn sie der Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs erforderlich sind. Allerdings ist eine Rechtfertigung schwierig. Das liegt daran, dass die einzelne Handlung, also die Straße zu blockieren, nur marginal dem Klima schützt, sie also an sich schon nicht geeignet ist, das Ziel zu erreichen. Eine Straßenblockade kann sogar dem Klima schaden, sofern Fahrzeuge sich länger auf der Straße befinden und mehr CO2 ausstoßen.

Hinweis: Das Amtsgericht Flensburg erklärte einen Protestierenden, der eine Baustelle besetzte und so den Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllte, für gerechtfertigt. Allerdings dürfte das Urteil von der höheren Instanz gekippt werden: Strafrecht 2023: Freispruch bei Hausfriedensbruch wegen "Klimanotstandes"

Ein anderer Ansatz ist, ob der Tatbestand der Nötigung zwar nicht gerechtfertigt ist, aber eventuell schon gar nicht als erfüllt anzusehen ist. Damit jemand den Tatbestand der Nötigung erfüllt, muss er mit Gewalt oder durch Drohung einen anderen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassen nötigen. Jedoch muss, so gibt § 240 StGB selbst vor, muss die Handlung rechtswidrig sein.

§ 240 StGB Nötigung

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) [...]

Was rechtswidrig ist, legt § 240 Absatz 2 StGB fest. Die jeweiligen Rechtsanwenderinnen müssen eine Zweck-Mittel-Prüfung durchführen. Hier setzt eine Argumentation an. Die Klimaaktivist*innen argumentieren, dass zwar das Mittel rechtswidrig ist, jedoch der Zweck, nämlich Klimaschutz durchzusetzen, das Mittel heiligt. Denn der Klimaschutz werde von der Verfassung geschützt und das Bundesverfassungsgericht erkannte in seinem Klima-Beschluss an, dass der gegenwärtige Schutz mangelhaft ist und die Regierung nachbessern muss.

Problematisch daran ist jedoch, ob dieses Fernziel überhaupt Beachtung findet. Denn viele Fernziele sind verfassungsrechtlich geschützt (etwa würde eine Strafbarkeit vorliegen, wenn militante Abtreibungsgegner die Zugangstüren einer Arztpraxis versperren, obwohl die Verfassung auch das ungeborene Leben schützt). Zudem würde die Anerkennung dieses Fernziels in der Zweck-Mittel-Abwägung die Tür dafür öffnen, dass sich die vermeintlichen Täter*innen auf irgendein Ziel berufen. Solange dies irgendwie Schutz erlangt, müsste dies in die Abwägung (und in die Strafzumessung) einfließen.

Auf der anderen Seite ist die Frage aber noch nicht abschließend beantwortet. Zweifel bleiben bestehen, weil sich die Mitglieder der "letzten Generation" auf die Versammlungsfreiheit berufen können. Insgesamt muss also eine umfassende Abwägung erfolgen.

Schon gewusst? Strafrecht 2022: Kein Strafantrag per E-Mail

Andere Frage: Razzien verhältnismäßig?

Eine andere Frage ist freilich, ob die Razzien rechtmäßig waren. Zwar erlaubt ein Anfgangsverdacht von § 129 StGB weitreichende Mittel. Jedoch griff die Polizei unverholen hart durch, weshalb einige Strafrechtler*innen die Razzia für unverhältnismäßig halten. Das ändert allerdings nichts an der Grundfrage, ob die "letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung darstellt.

Fazit

Schlussendlich ist die Frage noch nicht geklärt. Die bisherigen Stimmen sind gespalten. Es bleibt daher abzuwarten, wie die ersten höheren Instanzen und schlussendlich der Bundesgerichtshof und eventuell das Bundesverfassungsgericht die Fälle bewertet. Es bleibt spannend - absolute Antworten wird es allerdings erst in einigen Jahren geben.

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