Sozialversicherungspflicht bei Ein-Personen-Gesellschaften

Geschrieben von: Henrik Noszka

Fast vier Prozent der Erwerbstätigen sind sogenannte Solo-Selbstständige. Solo-Selbstständige sind alle Selbstständigen, die selbst keine eigenen Mitarbeitenden haben. Einige dieser Solo-Selbstständigen sind innerhalb von (Kaptital)Gesellschaften organisiert: Sie sind Geschäftsführer ihrer eigenen Gesellschaft (GmbH, UG etc.), sogenannte Ein-Personen-Gesellschafter. Alle Solo-Selbstständigen sind größtenteils auf sich allein gestellt. Grundsätzlich gilt, dass Solo-Selbstständige ihre Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge selbstständig zahlen. Für Unternehmen kann es daher lukrativ sein, statt eigener Arbeitnehmer, Solo-Selbstständige für Aufgaben zu beauftragen, weil dadurch Sozialversicherungsabgaben erspart werden. Für Ein-Personen-Gesellschafter bestand bisher Rechtsunsicherheit. Höchstrichterliche Urteile standen aus. Drei Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 20. Juli ändern dies nun. Der zwölfte Senat entschied: Eine Vertragsbeziehung zu einem Solo-Selbstständigen kann sozialversicherungspflichtig sein, sofern das tatsächliche Gesamtbild ergibt, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung handelt (Az.: B 12 BA 1/23 R; B 12 R 15/21 R; B 12 BA 4/22 R).

Bedeutung der Entscheidung

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungspflicht in den Renten- und Krankenversicherungen. Das regeln unter anderem § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI und 25 Abs 1 Satz 1 SGB III. Beschäftigt sind die, die nicht-selbstständige Arbeit ausführen. 

Diese Regelung regte in der Vergangenheit einige Unternehmen an, Personen nicht direkt zu beschäftigen, sondern mit ihnen - als Selbstständige - Verträge abzuschließen. Der Vorteil: Keine Sozialversicherungsabgaben und weniger Arbeitsschutz. Schon 2009 entschied das Bundessozialgericht in einer Grundsatzentscheidung, dass für solche Scheinselbsttätigen die Sozialversicherungspflicht gilt (Urt. v. 4. 11. 2009 - Az. B 12 R 3/08 R). Ähnliche Entscheidungen existieren für das Arbeitsrecht.

Die Rechtslage für Ein-Personen-Gesellschafter ist dabei komplexer. Das liegt daran, dass eine zusätzliche Partei (die Gesellschaft) in die Beauftragung eingeschlossen ist.

Auftraggeber/Arbeitgeber --> Gesellschaft --> Geschäftsführer der Gesellschaft

Das Bundessozialgericht musste sich mit der Frage beschäftigen, ob der Umstand, dass es sich um Ein-Personen-Gesellschaften handelt, etwas an der Beurteilung ändert.

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Verpflichtung per "Vertrag über eine freie Mitarbeit"

In einem der drei Verfahren, die vom Bundessozialgericht entschieden wurde, verpflichtet ein Unternehmen, das Fotoprodukte produzierte und vermarktete, eine Unternehmergesellschaft ("UG") zu der Optimierung vertrieblicher Strukturen und im Vertrieb der Produkte zu unterstützen. Die UG hatte nur einen Beschäftigten, ihren Inhaber und Geschäftsführer, der die Tätigkeit selbst ausführen würde.

In den zwei anderen Verfahren ging es um Pflegedienstleistungen im stationären Bereich eines Krankenhauses.

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Abhängige Beschäftigung

Die UG und ihr Auftraggeber argumentierten, dass für die vertragliche Beziehung keine Versicherungspflicht bestehe. Die Rentenversicherung argumentierte dagegen. 

Maßgeblich ist der Grad der Abhängigkeit. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist dies bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt.

Es benötigt also:

  • die Eingliederung in einen fremden Betrieb
  • eine Weisungsgebundenheit.

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Maßgeblich ist das tatsächliche Verhältnis, nicht das rechtliche

Der zwölfte Senat wies auch darauf hin, dass es nur auf die tatsächlichen Umstände ankommt: "Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen"

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Geschäftsinhalt entscheidend

Im Rahmen einer Gesamtabwägung müsse der tatsächliche Geschäftsinhalt ermittelt werden. Nicht aussagekräftig ist, wie der Vertrag bezeichnet ist oder welche Rechtsfolge gewünscht wird, sondern wie er praktisch durchgeführt wird.

In allen Verfahren: Eingliederung in fremden Betrieb

Für alle Verfahren entschied das Bundessozialgericht, dass Geschäftsinhalt der jeweiligen vertraglichen Abreden nicht auf eine Selbstständigkeit hinweise. d

Für die Unterstützung bei den Fotoprodukten urteilte es: 

"Geschäftsinhalt des Vertrags über "freie Mitarbeit" war die Überlassung des [Geschäftsführers der UG] zur Erbringung einer weisungsgebundenen Arbeitsleistung unter Eingliederung in die Arbeitsorganisation [der Auftraggeberin]."

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Die "Dreiecksbeziehung" zwischen UG, Geschäftsführer und Unternehmen ändert nichts daran

Das Bundessozialgericht machte auch deutlich, dass die Dreiecksbeziehung zwischen den einzelnen Akteuren keine Auswirkungen auf die Klassifizierung als (un)selbstständig haben könnte. 

"Die insoweit mit einer Arbeitnehmerüberlassung vergleichbare Dreiecksbeziehung zwischen [der Auftraggeberin], der UG und dem [Geschäftsführer] führt - weil keine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorliegt - sozialversicherungsrechtlich zu einem Beschäftigungsverhältnis zwischen [Geschäftsführer] und [Auftraggeberin]"

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Ausblick

Der Weg, die Sozialversicherungspflicht über das Einschalten von Ein-Personen-Gesellschaften zu umgehen, ist mit den Urteilen größtenteils unterbunden. 

Die Entscheidungen machen aber auch deutlich, dass es ganz wesentlich auf die konkrete Vertragsgestaltung ankommt - und insbesondere, wie diese "gelebt" wird.

Sofern Verträge mit Ein-Personen-Gesellschaftern bestehen, sollten diese evaluiert werden. Der Verstoß gegen die Sozialversicherungspflicht ist bußgeldbewehrt.

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