Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat sich mit dem Polizeigesetz in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Angerufen worden war es vom Bundesverwaltungsgericht, welches die Befürchtung hatte, gewisse Regelungen könnten verfassungswidrig sein. Worum genau geht es?
Konkret ging es um einen verwaltungsrechtlichen Fall. Klägerin war eine Frau, deren Mann nach der Entlassung aus der Haft observiert wurde. Hierbei wurden auch von der Frau Fotos gemacht. Das wollte sich die Frau nicht gefallen lassen und klagte.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte letztendlich den Eindruck, die Normen, aufgrund derer die Frau beobachtete werden durfte, seien nicht verfassungskonform.
In solchen Fällen hat ein Gericht gem. Art. 100 Grundgesetz (GG) die Möglichkeit, wenn es sich um eine potentielle Verletzung eines Grundrechts handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen.
Konkret ging es bei den Bedenken des BVerwG um die Normen §§ 16a I S.1 Nr. 2, 17 I Nr. 2 PolG NRW.
§ 16a I S.1 Nr. 2 PolG NRW:
(1) Die Polizei kann personenbezogene Daten erheben durch eine durchgehend länger als 24 Stunden oder an mehr als an zwei Tagen vorgesehene oder tatsächlich durchgeführte und planmäßig angelegte Beobachtung (längerfristige Observation)
2. über Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wollen, sowie über deren Kontakt- oder Begleitpersonen, wenn die Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist.
§ 17 I Nr. 2 PolG NRW:
(1) Die Polizei kann personenbezogene Daten erheben durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes
2. über Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wollen, sowie über deren Kontakt- oder Begleitpersonen, wenn die Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist.
Die Karlsruher Richter gaben in ihrer Entscheidung den Richtern des Bundesverwaltungsgerichts recht. Vor dem Bundesverfassungsgericht wird ein Fall regelmäßig nicht neu aufgerollt, sondern es kommt auf die Vereinbarung des geltenden Rechts mit höherrangigem Recht an. In diesem Fall sahen die Richter des BVerfG es für gegeben an, dass die derzeitigen Regelungen im PolG NRW mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar seien.
Das BVerfG begründete weiter, es mangele an einer "dafür hinreichend hohen und bestimmten Eingriffsschwelle als Anlass der Überwachung". Nach der Einschätzung des BVerfG bedürfe es in diesen Normen einer konkreten, allenfalls konkretisierbaren Gefahr, um eine Observierung unbeteiligter zu rechtfertigen.
Auch dass die Observierungen bislang allein von der Polizei genehmigt worden können scheint im Hinblick auf eine strikte Teilung von Legislative und Exekutive bedenklich.
Weiter kritisierte der BVerfG, dass es nach den in Rede stehenden Normen bereits ausreiche, dass angenommen werde, dass eine bestimmte Person eine Straftat begehen wolle. Dabei fehle es klar daran, "dass Tatsachen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen müssen und dabei bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann", so der Senat.
Die Unverhältnismäßigkeit begründet der Senat damit, dass die zwei Normen im PolG NRW hinter den Anforderungen an eine konkretisierte Gefahr und erst recht hinter denen an eine konkrete Gefahr zurückblieben. Denn es reiche nach den Befugnisnormen schon aus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Personen bestimmte Straftaten "begehen wollen". Insbesondere sei in verfassungswidriger Weise nicht erforderlich, "dass Tatsachen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen müssen und dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann", so der Senat. Mit anderen Worten: Weil es keine bestimmten Kriterien gibt, wann und wen die Polizei so eingriffsintensiv überwachen darf, würden unverhältnismäßigen Maßnahmen Tür und Tor geöffnet.
Weiter stellt der Senat fest: "Allein die auf Tatsachen gegründete, nicht näher konkretisierte Möglichkeit, dass jemand irgendwann in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen will, wird dem Bestimmtheitsgebot nicht gerecht". Die Bestimmung der Voraussetzungen und Grenzen des Eingriffs obliege nach den Normen im PolG NRW der Polizei, was verfassungsrechtlich zu beanstanden sei. Denn die Polizei, so der Senat, "entscheidet ohne nähere gesetzliche Vorgaben über die Grenzen der Freiheit des Bürgers und muss sich die Maßstäbe dafür selbst zurechtlegen". Dabei ist das Aufgabe der Legislative, nicht der Exekutive.
Das heißt im Ergebnis: NRW muss sein Gesetz nachbessern. Zwar nicht, was die Observation als solche angeht, aber was die konkrete Ausgestaltung und die Voraussetzungen für eine Observation betrifft. Bis es so eine Neuregelung gibt, längstens aber bis Ende 2025, gelten die Normen laut BVerfG mit der Maßgabe fort, dass laut den Normen nur beobachtet werden darf, wenn eine wenigstens konkretisierte Gefahr besteht.