Mietrecht 2023: Keine Kündigung bei Suizidgefahr

Geschrieben von: Henrik Noszka

Rund 58 Prozent aller Deutschen lebt zur Miete. Schon dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Konflikte, die zwischen Vermietern und Mietern bestehen können, abschließend zu regeln. Naturgemäß tritt vor allem Streit auf, wenn ein Mietverhältnis per Kündigung beendet wird. So auch in dem Fall, den der Bundesgerichtshof am 26.10.2022 entschied und die Frage zum Gegenstand hatte, unter welchen Voraussetzungen und wie einer Kündigung wegen Eigenbedarf widersprochen werden kann.

Der Sachverhalt

Eine Mieterin, die heute 80 Jahre alt ist, wohnt seit 1977 in Köln in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Der Vermieter kündigte die Wohnung im April 2017 für Dezember desselben Jahres unter Berufung auf Eigenbedarf. Der Vermieter wollte in die Wohnung mit seinem 75-jährigen Lebenspartner einziehen. Im Oktober 2017 widersprach die Mieterin der Kündigung und berief sich darauf, dass sie an einer schweren Depression mit Suizidgedanken leide. Der Vermieter bot ihr daraufhin an, dass sie in eine andere Wohnung in demselben Haus ziehen könne. Das Angebot lehnte die Mieterin allerdings ab. Dies führte dazu, dass der Vermieter eine Räumungsklage gegen die Mieterin erhob. 

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Der Widerspruch des Mieters gegen eine Kündigung

Das Bürgerliche Gesetzbuch ("BGB") geht, wie wir in diesem Beitrag darlegen, von einem starken Mieterschutz speziell bei der Kündigung aus. Da die Wohnung zentraler Bestandteil der privaten Lebensführung ist, soll sie auch besonders geschützt werden. Auf der anderen Seite muss diese Position mit dem Interesse des Vermieters in Einklang gebracht werden, sein Eigentum derart zu nutzen, wie er möchte. Insbesondere bei Mieten über Wohnraum legt das BGB hohe Anforderungen für eine Kündigung fest. Von besonderer Bedeutung für eine Kündigung ist § 573 BGB, der die Voraussetzungen des Regelfalls festlegt, wann eine Wohnung gekündigt werden kann:

§ 573 BGB Ordentliche Kündigung des Vermieters

(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen.
(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn
1.der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat,
2.der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder
3.der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde; die Möglichkeit, durch eine anderweitige Vermietung als Wohnraum eine höhere Miete zu erzielen, bleibt außer Betracht; der Vermieter kann sich auch nicht darauf berufen, dass er die Mieträume im Zusammenhang mit einer beabsichtigten oder nach Überlassung an den Mieter erfolgten Begründung von Wohnungseigentum veräußern will.
(3) Die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters sind in dem Kündigungsschreiben anzugeben. Andere Gründe werden nur berücksichtigt, soweit sie nachträglich entstanden sind.
(4) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

Von besonderer praktischer Bedeutung ist § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, die sogenannte Eigenbedarfskündigung. Alle Kündigungsgründe spielen mit § 573 Abs. 4 BGB zusammen. Dieser legt fest, dass der Vermieter angegeben muss, aus welchem Grund er kündigt. Dies dient dazu, § 574 BGB Wirkung zu verleihen ("Sozialklausel"), gemäß dem der Mieter einen Widerspruch gegen eine Kündigung einlegen kann, sofern ein sogenannter Härtefall für ihn oder seine Familienangehörigen vorliegt. 

§ 574 BGB Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung

(1) Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Dies gilt nicht, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt.
(2) Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.

(3) [...]
(4) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

Da der Begriff der "Härte" nicht gesetzlich definiert ist, kommt die Frage auf, was der Begriff umfasst. Der Bundesgerichtshof hat in langjähriger Rechtsprechung festgelegt, dass es keine Fallgruppen gebe. Vielmehr müsse eine Einzelfallabwägung unter Zugrundelegung aller Faktoren erfolgen. Diese Faktoren sind etwa das Alter, Krankheiten, soziale Verwurzelung in der Umgebung. Regelmäßig müssen die Gerichte anordnen solche Faktoren durch Sachverständigengutachten zu überprüfen. 

Kündigungen befassen die Gerichte immer wieder. Informieren Sie sich daher hier mithilfe unseres allgemeinen Beitrags zur Beendigung des Mietvertrages über die geltenden Bestimmungen oder hier über die besonderen Anforderungen an eine Eigenbedarfskündigung.

Vorinstanzen: Klage abgewiesen

Die Vorinstanzen (das Landgericht und das Amtsgericht Köln) entschieden jeweils zum Vorteil der Mieterin. Die Gerichte ordneten ein Sachverständigengutachten an, das die Verteidigung der Mieterin zu ihren Suizidgedanken stützte. Sie argumentierten daraufhin, dass eine besondere Härte für die Mieterin wegen ebendieser Gefahr vorliegen würde. Im Falle einer Räumung könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Mieterin selbst verletze. Auch die angebotene Ersatzwohnung ändere nichts an dieser Beurteilung, weil das Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass die Mieterin derart stark auf ihre gegenwärtige Bleibe fokussiert sei. 

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BGH: Bestätigung Vorinstanzen

Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidungen des Amtsgerichts und Landgerichts Köln. Die Einzelfallbegutachtung durch die Instanzgerichte sei fehlerfrei erfolgt. Insbesondere sei auch die Ablehnung des Arguments der Ersatzwohnung nicht fehlerhaft. Aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz resultiere die staatliche Verpflichtung Leben zu schützen. 

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BGH: Ablehnung Therapie habe keine Auswirkungen

Der Gerichtshof bekräftigte auch, dass obwohl die Mieterin eine stationäre Therapie ablehnte, dies nichts an der Beurteilung ändere. Die Schutzbedürftigkeit eines Mieters entfalle nicht allein dadurch, dass er an der Behandlung seiner psychischen Krankheit nicht mitwirkt: Wenn die Ablehnung einer Therapie zu einer Kündigung führen würde, "würde dem in Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz enthaltenen Gebot zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht gerecht, das auch dann gilt, wenn der Schuldner unfähig ist, aus eigener Kraft oder mit zumutbarer fremder Hilfe die Konfliktsituation angemessen zu bewältigen, unabhängig davon, ob dieser Unfähigkeit Krankheitswert zukommt oder nicht."

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Fazit

Die Entscheidung verdeutlicht, wie hoch der Schutz des Mieters im BGB ist. Sie verdeutlicht aber auch, wie schwierig eine Einzelfallabwägung im Rahmen von § 574 BGB sein kann - in jedem Fall lohnt es sich, wenn eine Kündigung begehrt wird oder sich gegen eine solche gewandt wird, anwaltlichen Rat aufzusuchen. 

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