Lieferdienste müssen ihren Fahrer:innen Fahrrad und ein Handy stellen. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 10.11.2021.
Viele Unternehmen, die Lieferdienstleistungen anbieten, verpflichten ihre Beschäftigten mit arbeitsvertraglichen Klauseln, dass diese ihr eigenes Fahrrad und ihr eigenes Mobiltelefon einsetzen müssen. Begründet wird dies häufig damit, dass die Beschäftigten "ohnehin" im Besitz dieser Gegenstände sind und daher müssten keine Neuanschaffungen tätigen müssen. Die Unternehmen sind daher der Ansicht, dass eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag nicht unangemessen ist. Zudem erhalten die Fahrer:innen oft für jede geleistete Arbeitsstunde eine Gutschrift von 25 Cent. Diese kann beispielsweise für Fahrradreparaturen bei einer kooperierenden Vertragswerkstatt eingesetzt werden.
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Bereits seit längerer Zeit äußern Beschäftigte der zahlreichen Lieferdienste vermehrt Kritik an den Arbeitsbedingungen.
Auch im konkreten Fall hielten zwei Beschäftigte die Klausel für unwirksam und erhoben Klage vor dem Arbeitsgericht. Der für eine Vielzahl von Arbeitnehmern verwendete und mit den Beschäftigten in ihrer Eigenschaft als Verbraucher abgeschlossene Arbeitsvertrag sei als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) zu qualifizieren. Die konkrete Regelung, die die Lieferanten zur Nutzung ihrer eigenen Mittel verpflichte, sei unangemessen benachteiligend. Denn sie verlagere das Risiko von Verlust und Beschädigung der eingesetzten Betriebsmittel und damit auch der grundsätzlichen Möglichkeit, der Tätigkeit nachzugehen, einseitig auf die Beschäftigten.
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Das erstinstanzlich verhandelnde Arbeitsgericht Frankfurt a.M. schloss sich dieser Argumentation nicht an. Die Fahrradlieferanten hätten in der Vergangenheit ihre Aufträge unter Nutzung des eigenen Fahrrads und des eigenen Mobiltelefons auf eigene Kosten durchgeführt. Somit hätten sie jedenfalls stillschweigend in eine solche Handhabe eingewilligt.
Auch als das Unternehmen den Fahrradkurieren einen Pfandvertrag vorgelegt habe, hätten die Beschäftigten ihre Tätigkeit fortgesetzt. Der Vertrag sah konkret vor, dass bestimmte Betriebsmittel wie Mütze, Rucksack oder Fahrradhalterung gegen Pfandhinterlegung zur Verfügung gestellt wurden, Fahrrad und Mobiltelefon mit Datenvolumen indes nicht. Damit sei klar gewesen, dass den Mitarbeitenden keine weiteren Betriebsmittel des Arbeitgebers zur Verfügung stünden. Eine solche Regelung sei nicht sittenwidrig gemäß § 138 BGB, sondern Ausfluss der Vertragsfreiheit.
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Diese Entscheidung wollten die beiden Kläger nicht akzeptieren. Sie wandten sich mit ihrer Berufung an das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG). Dieses hob das erstinstanzliche Urteil auf.
Fahrradlieferanten, die Speisen und Getränke an Kunden ausliefern, haben einen Anspruch auf Stellung eines verkehrstüchtigen Fahrrads und eines internetfähigen Mobiltelefons zur dienstlichen Nutzung gegen ihren Arbeitgeber, so das Gericht.
Zudem dürfe der Arbeitgeber die Beschäftigten auch nicht bezahlt freistellen bzw. müsse diesen die mangels Arbeitsmittels nicht erbrachten Arbeitsstunden vergüten. Das ergebe sich aus dem arbeitnehmerseitigen Beschäftigungsanspruch. Deshalb müsse er seinen Mitarbeitenden die zur Erfüllung der Arbeitsleistung notwendigen Betriebsmittel, also Fahrrad und Mobiltelefon mit ausreichendem Datenvolumen, auch tatsächlich zur Verfügung stellen. Ausnahmen von der Pflicht, die Betriebsmittel zu stellen, seien allenfalls denkbar, wenn ein ausreichender finanzieller Ausgleich für den Einsatz der eigenen Sachen erfolge, so die Frankfurter Richter:innen.
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Dieser Auffassung schlossen sich nun auch die Richter und Richterinnen des BAG an. Es sei Sache des Arbeitgebers, die für die Ausübung der Tätigkeit notwendigen Betriebsmittel bereitzustellen. Im konkreten Fall umfasse dies "ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes internetfähiges Mobiltelefon".
Eine Klausel, die diese Pflicht auf die Arbeitnehmer übertrage, sei unangemessenen und nichtig. Denn ansonsten würde der Arbeitgeber "von entsprechenden Anschaffungs- und Betriebskosten entlastet" und trage nicht das ihm zugewiesene Risiko "für Verschleiß, Wertverfall, Verlust oder Beschädigung der essenziellen Arbeitsmittel einstehen zu müssen".
Eine solche Regelung widerspreche dem gesetzlichen Grundgedanken des Arbeitsverhältnisses, so das Gericht. Anderes könne aber dann gelten, wenn ein angemessener Ersatz für die Nutzung gewährt werde. Eine solche Kompensation sah das BAG im entschiedenen Fall jedoch nicht.
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Das BAG hat damit entschieden, dass die typischen vertraglichen Konstellationen von Unternehmen, die sich mit der Auslieferung von Getränken und Speisen befassen, arbeitsrechtlich zu einer unangemessenen Behandlung führen. Entsprechende AGB sind daher unwirksam.
Eine kompensationslose arbeitsvertragliche Regelung kann demnach Ansprüche auf die Stellung der benötigten Betriebsmittel nicht ausschließen.
Aus der Entscheidung folgt aber auch, dass pauschale Abgeltungsvereinbarungen möglich sind. Die Rechtsprechung akzeptiert derartige Regelungen, wenn dem Arbeitnehmer ein angemessener Ausgleich gewährt wird.
Achtung! Gutschriften für Fahrradreparaturen in geringem Umfang reichen dafür nicht.
Welche monatliche Pauschale für den Einsatz des eigenen Drahtesels und des Smartphones angemessen wäre, hat das BAG nicht entschieden. Insoweit ist davon auszugehen, dass die besagten Arbeitsverträge unternehmensseitig zeitnah angepasst werden. Es ist zu erwarten, dass sie sich dann ebenfalls früher oder später einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen dürften.
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Schumacher | Rechtsanwälte · Notare · Steuerberater
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