Fahrzeuge sind regelmäßig eine kostenspielige Anschaffung, vor allem wenn es um Neufahrzeuge geht. Daher ist es - auch wegen des schnellen Wertverfalls eines Neuwagens - nicht überraschend, dass es einen großen Markt für Gebrauchtwagen gibt. Manchmal gehört aber ein Gebrauchtwagen gar nicht demjenigen, der das Fahrzeug verkauft. Solche Fälle lassen sich grundsätzlich gut mit den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches ("BGB") lösen. Der Bundesgerichtshof befasste sich am 23.09.2022 dennoch mit einer bis dahin ungeklärten Frage: Wer trägt die Beweislast für die sogenannte Gutgläubigkeit?
Ein italienisches Unternehmen, das Fahrzeuge vertreibt, kaufte im März 2019 einen PKW von einem deutschen Autohaus. Die Eigentümerin des Fahrzeuges hatte das Fahrzeug an das Autohaus verleast. Nach Zahlung des Kaufpreises von 30.800 Euro holte das italienische Unternehmen das Fahrzeug ab. Für den Kauf hatte das Unternehmen einen deutschen Vermittler eingeschaltet. Die Eigentümerin des Fahrzeuges ist jedoch der Ansicht, dass dem Vermittler im Autohaus keine Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt worden ist. Diese sei nämlich bei ihr verblieben. Das italienische Unternehmen vertritt demgegenüber, dass jedenfalls eine Fälschung vorgelegt worden sein müsse. Aufklären lässt sich der Umstand nicht, er bleibt im Prozess streitig. Denn das italienische Unternehmen verklagt die Eigentümerin des Fahrzeuges auf Herausgabe eben der Zulassungsbescheinigung Teil II.
Derweil wurde gegen den Geschäftsführer des Autohauses ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts in über 100 Fällen eingeleitet.
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In der Juristerei wird streng zwischen Eigentum und Besitz differenziert. Erstereres ist die sogenannte rechtliche Herrschaft, Besitz dagegen nur die "tatsächliche Gewalt" an einer Sache. Es kann also schnell geschehen, dass jemand - zum Beispiel weil er mit einem von einer Freundin geliehenen neuen Mercedes herumfährt - eine Sache besitzt, aber eben nicht Eigentümer ist. Trotzdem könnte der Besitzer aber auf die Idee kommen, den Mercedes zu verkaufen. Diese Konstellation wurde schon bei Schaffung des BGB im Jahr 1900 bedacht. Im Wesentlichen regeln zwei Vorschriften den Erwerb von jemanden, der kein Eigentümer ist (sogenannter gutgläubiger Erwerb):
§ 932 BGB Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten
(1) Durch eine nach § 929 erfolgte Veräußerung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. In dem Falle des § 929 Satz 2 gilt dies jedoch nur dann, wenn der Erwerber den Besitz von dem Veräußerer erlangt hatte.
(2) Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.
§ 935 BGB Kein gutgläubiger Erwerb von abhanden gekommenen Sachen
(1) Der Erwerb des Eigentums auf Grund der §§ 932 bis 934 tritt nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen war. Das Gleiche gilt, falls der Eigentümer nur mittelbarer Besitzer war, dann, wenn die Sache dem Besitzer abhanden gekommen war.
(2) Diese Vorschriften finden keine Anwendung auf Geld oder Inhaberpapiere [...]
Also jemand kann eine Sache veräußern, auch wenn sie nicht ihm oder ihr gehört, solange sie nicht abhanden gekommen ist (also nicht freiwillig aus der Hand gegeben wurde, § 935 Abs. 1 BGB) und der Erwerb im sogenannten guten Glauben (§ 932 Abs. 2 BGB) ist.
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Bei Fahrzeugkäufen spielt die Zulassungsbescheinigung Teil II eine erhebliche Rolle. Denn nicht im guten Glauben handelt ganz diejenige, die sich beim Gebrauchtwagenkauf die Bescheinigung nicht vorlegen gelassen hat. Das Vorlegenlassen der Bescheinigung ist damit die Mindestanforderung des gutgläubigen Erwerbs von Gebrauchtwagen. Insgesamt spielen aber noch zahlreiche andere Faktoren in die Prüfung, ob jemand gutgläubig gewesen ist, hinein (Ort des Kaufs, Zeit, Auftreten, Verdachtsmomente etc.). Auch eine gut gemachte Fälschung der Bescheinigung reicht aus. Erwirbt jemand unter Vorlage einer gefälschten Zulassungsbescheinigung Teil II ein Fahrzeug, kann er die "echte" Bescheinigung vom wahren Eigentümer herausfordern, § 985 BGB. Das war auch die Konstellation im vorliegenden Fall.
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Der Bundesgerichtshof entschied, dass das italienische Unternehmen Eigentümerin an dem Fahrzeug geworden sei, weil das Unternehmen gutgläubig gewesen sei. Die Beweislast für fehlende Gutgläubigkeit trage nicht der Erwerber. Denn der Gesetzgeber habe die fehlende Gutgläubigkeit bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Ob, die Zulassungsbescheinigung Teil II bzw. eine Fälschung dessen vorgelegt worden sei, sei daher im konkreten Fall nicht vom italienischen Unternehmen, sondern dem Autohaus zu beweisen.
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Der Gerichtshof schränkt seine Ansicht aber zugleich wieder ein. Einen Erwerber treffe regelmäßig eine sogenannte sekundäre Darlegungslast dahin, dass ihm die Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt worden sei, wenn sich der Erwerber auf einen gutgläubigen Erwerb beruft. Er müsse also darlegen, wann, wo und durch wen ihm die Bescheinigung vorgelegt worden ist und dass er sie überprüft hat. Gelingt ihm das, müsse der Eigentümer beweisen, dass dies unzutreffend ist.
Im konkreten Fall hatte es für die Erfüllung der sekundären Darlegungslast ausgereicht, dass vertraglich vereinbart war, eine steuerrelevante Gelangensbestätigung zu übersenden. Die Bestätigung ist wichtig für Handelsvorgänge im europäischen Raum. Durch Vorlegen der Zulassungsbescheinigung sollte dieser Vorgang sichergestellt werden.
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Bei einem Gebrauchtwagenkauf schlummern viele kleinere Hindernisse, die schnell weitreichende Konsequenzen haben können. Der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall verdeutlicht, dass es Wesentlich darauf ankommt, dass Beweise erbracht werden können. Es lohnt sich also, schon vor größeren Transaktionen anwaltlichen Rat aufzusuchen.
Wenn Sie Fragen rund um das Thema haben, wenden Sie sich an unsere Anwälte oder unsere Steuerberatung und vereinbaren einen Termin. Wir stehen Ihnen gerne und jederzeit für alle Fragen zur Verfügung. Rufen Sie uns an 0201/24030.
Schumacher | Rechtsanwälte · Notare · Steuerberater
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