Die Verwaltung digitaler Nachlässe gewinnt in der Rechtsprechung zunehmend an Bedeutung.. Während Social-Media-Plattformen bisher oft eigenständig darüber entschieden, was mit den Konten verstorbener Nutzer geschieht, setzt ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg neue Maßstäbe. Es behandelt die Frage, ob Erben ein uneingeschränktes Nutzungsrecht an Social-Media-Konten haben oder ob Plattformbetreiber Beschränkungen setzen dürfen.
Alphonso Williams, einstiger Sieger der Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS), verstarb 2019. Seine Ehefrau nutzte den Instagram-Account des Sängers weiter. 2022 erfuhr Meta, der Mutterkonzern von Instagram, vom Tod des Sängers und versetzte den Account in den sogenannten "Gedenkzustand". Dadurch war es nicht mehr möglich, sich in den Account einzuloggen oder ihn zu verwalten. Die Witwe zog daraufhin vor Gericht, um wieder vollständigen Zugriff auf das Konto zu erhalten.
Das Landgericht (LG) Oldenburg entschied zunächst zugunsten von Meta und sprach der Witwe lediglich Leserechte zu. Das bedeutet, dass sie die Inhalte des Accounts weiterhin ansehen, jedoch keine Änderungen vornehmen oder neue Beiträge veröffentlichen konnte.
Zur Begründung zog das Gericht Parallelen zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) über den Zugriff von Erben auf Girokonten (Az. XI ZR 440/15). Dort hatte der BGH entschieden, dass ein Erbe lediglich Leserechte für das Konto eines Verstorbenen erhalte, da ihm für weitergehende Befugnisse eine Vertrauensbeziehung fehle.
Das OLG Oldenburg hob das Urteil der Vorinstanz auf und sprach der Witwe uneingeschränkten Zugriff auf das Instagram-Konto ihres verstorbenen Mannes zu. Damit setzte das Gericht einen bedeutenden rechtlichen Meilenstein, da es sich um das erste obergerichtliche Urteil in Deutschland handelt, das sich mit der aktiven Nutzungsmöglichkeit von Social-Media-Konten durch Erben beschäftigt.
Das OLG stützt seine Entscheidung auf mehrere zentrale Argumente:
Verweis auf BGH-Grundsatzentscheidung von 2018 (Az. III ZR 183/17): Der BGH hatte bereits entschieden, dass Social-Media-Konten vererbbar sind. Damit haben Erben grundsätzlich Anspruch auf vollständigen Zugang zu den Inhalten und Funktionen eines Accounts.
Erbrechtliche Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB: Die Witwe trat als Erbin in sämtliche Rechte und Pflichten des Verstorbenen ein. Dies umfasst auch das aktive Nutzungsrecht an dessen Social-Media-Konto.
Vertragliche Pflichten von Meta: Das OLG stellte klar, dass Meta gegenüber seinen Nutzern lediglich technische Leistungen erbringt – also das Bereitstellen der Plattform zum Teilen von Inhalten. Es bestehe keine Verpflichtung zu einer rein personenbezogenen Leistung, die eine Übertragung an Erben ausschließen würde.
Vertragsnatur des Social-Media-Accounts: Das Gericht argumentierte, dass die Natur des Vertrags zwischen Meta und seinen Nutzern gegen die Annahme einer "höchstpersönlichen" Vereinbarung spreche. Denn bereits bei der Einrichtung eines Accounts sei es möglich, sich durch Dritte vertreten zu lassen – ein Hinweis darauf, dass eine Bindung ausschließlich an die Person des ursprünglichen Kontoinhabers nicht zwingend gegeben sei.
Gleichbleibende Plattformleistung: Obwohl Social-Media-Profile personenbezogen sind, bleibe die Leistung von Meta – das Bereitstellen einer Kommunikationsplattform – stets identisch. Das OLG sah daher keinen Grund, warum Erben nicht dieselben Rechte wie der ursprüngliche Nutzer haben sollten.
Das Urteil des OLG Oldenburg setzt einen bedeutenden Maßstab für die digitale Nachlassverwaltung. Während Social-Media-Plattformen wie Instagram und Facebook bislang eigenständig über die Handhabung von Nutzerkonten Verstorbener entschieden, stellt dieses Urteil klar, dass Erben ein grundsätzliches Recht auf vollen Zugang haben. Es bleibt abzuwarten, ob Meta gegen das Urteil vorgeht oder ob sich diese Rechtsprechung künftig auf weitere digitale Nachlassfälle auswirkt.