Erbstreitigkeiten sind häufig mühsam - auch weil es in der Regel darum geht, zu interpretieren, was der verstorbene Erblasser genau gemeint hat. Das Oberlandesgericht Oldenburg hatte sich am 26.09.2022 mit einer solchen Interpretation zu beschäftigten: Ist ein Testament unwirksam, wenn der Partner des Erblasser, während der Erblasser wegen Demenz in einem Pflegeheim residiert, heiratet?
Im Jahr 2005 setzte der Erblasser sowohl seine Tochter und seinen Lebenspartner als Erben ein. Elf Jahre später musste der Erblasser wegen einer fortgeschritten Demenz in ein Pflegeheim verbracht werden. Am 15.08.2020 heiratete der Lebenspartner des Erblassers einen neuen Partner. Der Erblasser verstarb kurze Zeit später.
Der ehemalige Lebenspartner beantragte einen Erbschein. Dagegen wandte sich die Tochter des Erblassers und ficht das Testament ihres Vaters an. Sie führte zur Begründung ihrer Anfechtung aus, dass wenn der Erblasser von dem neuen Lebensgefährten gewusst hätte, hätte dieser auch sein Testament geändert.
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Die Anfechtung eines Testaments ist im Bürgerlichen Gesetzbuch ("BGB") geregelt. Insbesondere die §§ 2078 ff. BGB geben vor, wie und weshalb angefochten werden kann. Dabei gilt grundsätzlich, dass die Anfechtung innerhalb einer bestimmten Frist und in einer vorgegebenen Form abgegeben werden muss. Am wichtigsten ist allerdings, dass sich die anfechtende Person auch auf einen Anfechtunsgrund berufen kann.
Die Form der Anfechtung ist in § 2081 BGB geregelt:
§ 2081 BGB Anfechtungserklärung
(1) Die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung, durch die ein Erbe eingesetzt, ein gesetzlicher Erbe von der Erbfolge ausgeschlossen, ein Testamentsvollstrecker ernannt oder eine Verfügung solcher Art aufgehoben wird, erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht.
(2) Das Nachlassgericht soll die Anfechtungserklärung demjenigen mitteilen, welchem die angefochtene Verfügung unmittelbar zustatten kommt. Es hat die Einsicht der Erklärung jedem zu gestatten, der ein rechtliches Interesse glaubhaft macht.
Die Anfechtung kann also nur gegenüber einem Gericht erklärt werden. Das unterscheidet sich von der "normalen" Anfechtung, die gegenüber dem Vertragspartner erklärt werden kann. Diese Vorschrift sichert einerseits, dass die Anfechtungserklärung bei demjenigen ankommt, bei dem sie auch ankommen soll und dient andererseits auch Beweiszwecken.
Die Frist gibt § 2082 BGB vor:
(1) Die Anfechtung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen.
(2) Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210, 211 entsprechende Anwendung.
(3) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit dem Erbfall 30 Jahre verstrichen sind.
Die Frist für die Anfechtung beträgt also ein Jahr. Eine Ausnahme gilt aber, wenn keine Kenntnis vom potentiellen Anfechtungsgrund besteht (etwa wenn die Tochter keine Kenntnis von der Beziehung des Lebenspartners ihres Vaters gehabt hätte). In diesen Fällen gilt die Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren. Erhält die Tochter also beispielsweise erst nach zehn Jahren Kenntnis von der Beziehung, kann sie innerhalb eines Jahres anfechten; erhält sie Kenntnis nach 31 Jahren, nicht.
Die Anfechtunsgründe sind in den §§ 2078 ff. BGB geregelt. Besonders wichtig ist dabei § 2078 BGB:
§ 2078 Anfechtung wegen Irrtums oder Drohung
(1) Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden, soweit der Erblasser über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte und anzunehmen ist, dass er die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben haben würde.
(2) Das Gleiche gilt, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist.
(3) [...]
Am wichtigsten ist hier Absatz eins. Denn sie erfordert eine hypothetische Betrachtung des Willen des Erblassers (schließlich wusste er nicht, was die Sachlage war). Diese Betrachtung ist umfassend und erfordert geschicktes anwaltliches Vorbringen.
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Das Oberlandesgericht argumentierte in seinem Beschluss, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden müsse, dass der Erblasser seinem Testament den Umstand zugrunde gelegt hat, dass die Beziehung zwischen ihm und seinem Lebenspartner fortdauere. Dauere die Beziehung nicht fort, sei von einer Unwirksamkeit auszugehen. Eine Ausnahme bestünde nur, wenn andere Umstände den Schluss zulassen, dass auch das Eingehen einer neuen Beziehung nichts an seiner ursprünglichen Absicht geändert hätte.
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Das Gericht kam zum Schluss, dass im vorliegenden Fall davon auszugehen sei, dass ausnahmsweise von einer Wirksamkeit des Testaments ausgegangen werden müsse. Das begründete das Oberlandesgericht damit, dass die Beziehung zwischen Erblasser und Lebenspartner nur wegen der Demenz nicht fortgeführt werden konnte und nicht etwa, weil der Lebenspartner eine Affäre einging. Außerdem berief sich das Gericht noch darauf, dass der Lebenspartner den Erblasser häufig im Pflegeheim besucht hätte. Dies würde die fortdauernde emotionale Verbundenheit ausdrücken. Den hypothetischen Willen des Erblassers zugrunde gelegt, sollte das Testament also auch trotz Heirat bestand haben.
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Der Fall zeigt wiederholt, wie relevant erbrechtliche Streitigkeiten sind und wie schwierig es sein kann, zu ermitteln, was ein Erblasser gewollt hat. Um alle Stolpersteine aus dem Weg zu räumen, ist es sinnvoll, vorbeugend anwaltlichen Rat aufzusuchen.
Bei weiteren Fragen zum Thema Erbrecht, stehen wir Ihnen gerne auch persönlich zur Seite. Terminvereinbarungen können Sie während unserer Bürozeiten unter der Telefonnummer 0201-24030 oder per Email unter info@schumacherlaw.com vornehmen.
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