Die Wechselbezüglichkeit letztwilliger Verfügungen in gemeinschaftlichem Testament

29. April 2024
Geschrieben von: Henrik Noszka

Das OLG Brandenburg klärt mit Urteil vom 16.10.2022, wann letztwillige Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich sind, also wann diese Verfügungen nur gemeinsam geändert oder widerrufen werden können.

Sachverhalt

In dem vom OLG Brandenburg entschiedenen Fall traf der Erblasser gemeinsam mit seiner ersten Frau letztwillige Verfügungen in Form eines gemeinschaftlichen Testaments. In einem ersten gemeinsamen Testament setzten sie die Tochter und deren Kinder als Schlusserben und die Enkeltochter, die Tochter des Sohnes, als befreite Vorerbin ein.  Dieses Testament widerriefen sie jedoch gemeinsam und setzten 1995 in einem neuen gemeinschaftlichen Testament den gemeinsamen Sohn als alleinigen Schlusserben ein. Sie hielten zudem fest, dass alle getroffenen Verfügungen zwar wechselbezüglich seien, der überlebende Teil jedoch frei über das beiderseitige Vermögen verfügen darf und in keiner Weise beschränkt sei. Nach dem Tod der ersten Ehefrau errichtete der Erblasser 2017 mit seiner zweiten Ehefrau ebenfalls ein gemeinschaftliches Testament, in welchem diese sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Nachdem nun der Erblasser gestorben war, verlangte der Sohn des Erblassers die Einsetzung zum Alleinerben aufgrund des Testaments aus 1995, da er das Testament aus 2017, wegen der Wechselseitigkeit des Testamentes mit der ersten Frau des Erblassers, als unwirksam ansah. Gleichwohl verlangte jedoch auch die zweite Ehefrau die Einsetzung zur Alleinerbin auf Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments aus 2017.

Häufig wissen vermeintliche Erben oder sonstig Berechtigte nicht, wie hoch das Vermögen des Verstorbenen ist und welche Gegenstände ihnen zustehen könnten. Das Gesetz normiert zahlreiche Auskunftsansprüche, die für diese Fragen hilfreich sind und die wir zusammengefasst haben:

– Auskunftsansprüche im Erbrecht – Teil 1: Ansprüche gegen Dritte

– Auskunftsansprüche im Erbrecht – Teil 2: Ansprüche der Miterben

– Auskunftsansprüche im Erbrecht – Teil 3: Auskunftsansprüche des Nacherben

– Auskunftsansprüche im Erbrecht – Teil 4: Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten

Wirksamkeit des Testaments?

Das OLG Brandenburg stimmte dem Sohn nicht zu, sondern sieht das Testament aus 2017 als wirksam an. Die wechselseitigen Verfügungen aus dem gemeinschaftlichen Testament mit seiner ersten Frau würden ihn nicht daran hindern, anderweitig zu testieren. Denn es sei stets im Einzelfall zu beurteilen, ob ein gemeinschaftliches Testament aufgrund von wechselseitigen Verfügungen, auch über den Tod des einen Ehegatten hinaus, noch eine Bindungswirkung entfalte, also ob der überlebende Ehegatte zwingend an die getroffenen Verfügungen gebunden ist. Dabei ist der wirkliche Wille der beiden Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu erforschen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Bestimmung „der Überlebende sei ungehindert und dürfe frei über das Vermögen verfügen“ im Zweifel nur die Ermächtigung zur Vornahme von Verfügungen des Letztlebenden unter Lebenden enthalten soll.

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Wille frei über das Vermögen zu verfügen

Auch im vorliegenden Fall wurde eine solche Bestimmung getroffen. Da dort formuliert wurde, dass der Überlebende über das beiderseitige Vermögen frei verfügen darf, und somit hier auch das eigene Vermögen des Überlebenden miteingeschlossen wird, kann die Beschränkung auf Verfügungen unter Lebenden hier nicht als zutreffend gesehen werden. Dadurch, dass die Erblasser in ihrem Testament bewusst formulieren, dass die getroffenen Verfügungen zu Lebzeiten wechselbezüglich sein sollen, nach dem Tod des ersten Ehegatten jedoch nicht mehr, geht deutlich hervor, dass sie sich über die Bindungswirkung eines gemeinsamen Testamentes bewusst sind und diese Bindungswirkung nur während beidseitiger Lebzeiten möchten. Genau deshalb durfte der Ehemann laut dem OLG Brandenburg auch neu testieren, sodass das gemeinschaftliche Testament mit seiner zweiten Frau wirksam ist.

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Fazit

Zusammenfassend hält das OLG Brandenburg also fest, dass Verfügungen dann gemäß 2270 Abs. 1 BGB wechselbezüglich sind, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre und diese voneinander abhängig sein sollen. Im Falle eines Berliner Testamentes, also sofern die Erblasser zunächst sich gegenseitig als Vorerben eingesetzt haben und dann einen Schlusserben, ist eindeutig, dass diese Verfügungen wechselbezüglich sein können. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist jedoch stets durch Auslegung des Testamentes zu ermitteln. Denn die Ehegatten können immer selbst bestimmen, ob und inwiefern die gemeinsam getroffenen Verfügungen wechselseitig sein sollen.

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