Das Internet vergesse nichts, ist ein Lehrspruch, sofern es um das unbedachte Posting von Inhalten geht. Häufig kommt es jedoch vor, dass Andere Informationen über eine Person posten, die nicht der Wahrheit entsprechen, etwa um diese zu diskreditieren. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat sich vor diesem Kontext mit einem derart gelagerten Fall auseinandergesetzt und festgestellt, wann derartige Informationen als "falsch" erachtet werden (Rechtssache: C-460/20).
Zwei Geschäftsführer einer Gruppe von Investmentgesellschaften forderten Google auf, bestimmte Links zu entfernen, die angezeigt werden, wenn ihre Namen "gegoogelt" werden. Diese Links würden unrichtige Behauptungen enthalten. Tatsächlich wurden sie von einer in den USA ansässigen Firma erstellt, die dem Vorwurf ausgesetzt ist, negative Informationen im Internet zu streuen, um später daraus Kredit zu schlagen. Darüber hinaus fordern sie Google auf, dass Vorschaubildern (sogenannte "thumbnails") nicht mehr angezeigt werden, wenn ihre Namen "gegoogelt" werden. Denn die thumbnails würden ohne Angaben zum Kontext angezeigt.
Google lehnt die beiden Forderungen der Geschäftsführer ab. Google beruft sich auf den beruflichen Kontext der Artikel und Fotos. Außerdem habe es nicht gewusst, dass die Informationen in den Artikeln unrichtig sei.
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Die Datenschutzgrundverordnung ("DSGVO") regelt ein sogenanntes "Recht auf Vergessen" in Artikel 17 DSGVO. Der Hintergrund der Vorschrift ist, dass keine Informationen "für immer" im Internet kursieren sollen. Der Redewendung "das Internet vergisst nichts" wirkt der Artikel damit entgegen. Artikel 17 DSGVO legt fest, wann ein sogenanntes Recht auf Löschung besteht (etwa wenn eine Einwilligung, personenbezogene Daten zu verarbeiten, widerrufen wurde). Artikel 17 Abs. 3 DSGVO normiert Rückausnahmen, wann personenbezogene Daten weiterhin im Internet (frei) zugänglich sein können. Personenbezogen sind Daten, wenn sie Rückschlüsse auf eine Person zulassen (Art. 4 Nr. 1 DSGVO).
Artikel 17 DSGVO Recht auf Löschung
(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft:
(a) Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig.
(b) Die betroffene Person widerruft ihre Einwilligung, auf die sich die Verarbeitung gemäß [...], und es fehlt an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung.
(c) Die betroffene Person legt [...] Widerspruch gegen die Verarbeitung ein und es liegen keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vor, [...].
(d) Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet.
[...](3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist
(a) zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information;
(b) zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde[...]
In der Praxis häufig ist der Fall, dass sich der für die Datenverarbeitung verantwortliche auf Artikel 17 Abs. 3 litera a) DSGVO beruft und argumentiert, die Verarbeitung sei von der freien Meinungsäußerung gedeckt. Gerichte haben entsprechend abzuwägen, welches Recht (dasjenige auf Vergessen oder dasjenige auf freie Meinungsäußerung) überwiegt.
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Der Europäische Gerichtshof argumentierte, dass personenbezogene Daten nicht uneingeschränkt geschützt werden. Es müsse eine Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freie Informationen stattfinden. Der Schutz der personenbezogenen Daten müsse entsprechend immer im Kontext seiner gesellschaftlichen Funktion gesehen werden.
Grundsätzlich überwiege aber das Schutzinteresse der betroffenen. Es müsse aber immer eine Einzelfallentscheidung getroffen werden.
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Der Gerichtshof wies ausdrücklich darauf hin, dass es kein Informationsinteresse an unrichtigen Informationen gebe. Sobald ein nicht unbedeutender Teil einer durch eine Verlinkung auffindbaren Internetseite nicht der Wahrheit entspreche, besteht also ein Löschungsanspruch.
Die Beweislast für die Richtigkeit trägt aber die Person, die Löschung begehrt. Dabei müsse sie aber nur diejenigen Beweise erbringen, die vernünftigerweise von ihr verlangt werden können.
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Ferner stellte der Gerichtshof klar, dass Google, sobald sich ein mutmaßlich durch Falschinformationen betroffener an Google wendet, nicht aktiv nach Tatsachen für die Wahrheit oder die Fehlerhaftigkeit der Informationen suchen muss. Sollte der Betroffene aber hinreichende Beweise vorlegen, die es wahrscheinlich machen, dass die verlinkte Internetseite Fehlinformationen veröffentlicht hat, muss Google dem Löschungsantrag nachkommen.
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Überdies betonte die Richter aus Luxemburg, dass Fotos einen besonders starken Eingriff in die Rechte auf Schutz des Privatlebens und der personenbezogenen Daten dieser Person darstellen könnten.
Sollte Google dazu aufgefordert werden, bestimmte Fotos zu löschen, müsse es prüfen, ob die Fotos notwendigerweise angezeigt werden müssen, um das Recht auf freie Informationen auszuüben. Dies stelle einen besonderen Faktor bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen dar.
Die DSGVO beschäftigt Gerichte häufig - vor allem der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch wird häufig zum Gegenstand richterlicher Entscheidungen; hierzu unsere Beiträge:
- DSGVO und der Auskunftsanspruch
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Die Entscheidung betont die Reichweite des Rechts auf Vergessen im besonderen Kontext mit unwahren Informationen. Sind Informationen unwahr, sind sämtliche Verlinkungen auf ebendiese Informationen aufzulösen. Außerdem betont der Gerichtshof, dass bei Fotos besonders strenge Maßstäbe anzulegen seien.
Bei weiteren Fragen zum Thema IT- und Datenschutzrecht, stehen wir Ihnen gerne auch persönlich zur Seite. Terminvereinbarungen können Sie während unserer Bürozeiten unter der Telefonnummer 0201-24030 oder per Email unter info@schumacherlaw.com vornehmen.
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Rechtsanwälte für IT- und Datenschutzrecht in Essen