BVerwG zu ÖRR: Gerichte müssen überprüfen, ob das Programm vielfältig genug ist

28. Oktober 2025
Geschrieben von: Benedikt Renschler

Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einseitig? Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat sich mit einem Fall beschäftigt, der die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betrifft.

ÖRR in der Kritik: Streit um Einseitigkeit

Die Diskussion über die Höhe der Beiträge für den ÖRR ist so alt wie der Beitrag selbst. Der aktuelle Beitrag liegt bei 18,36 € pro Monat pro Wohnung. Das mag zunächst nicht nach besonders viel klingen, am Ende des Jahres kommt dadurch aber eine Menge Geld zusammen. Bedenkt man, dass der Beitrag für knapp 47 Mio. Wohnungen entrichtet wird, kommt dadurch immerhin eine Summe von knapp neun Milliarden (!) Euro zusammen. 

Der ÖRR ist derweil verpflichtet, ein ausgewogenes Programm anzubieten. Konkret heißt es dazu in § 26 des Medienstaatsvertrags, der Auftrag des Rundfunks bestünde darin, an:

„freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie den gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Bund und Ländern fördern.“

Verfahren vor dem Bayrischen Verwaltungsgerichtshof

Das Verfahren war in Bayern angestoßen worden. Eine Frau argumentierte hier, ihrer Meinung nach sei die Meinungsvielfalt im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gegeben. Angesichts dessen habe sie keinen persönlichen Vorteil aus dem Nutzen des angebotenen Programms und wolle den Beitrag nicht zahlen. 

Die Klägerin ist Mitglied der „Bürgerinitiative Leuchtturm ARD“, ihr Anwalt sitzt im Vorstand des „Bundes der Rundfunkbeitragszahler“. Das Bündnis aus beiden Initiativen fordert Reformen des ÖRR insofern, als dieser wieder zu mehr Meinungspluralismus und weniger Staatsnähe gelangen soll. Insbesondere kritisieren die Initiativen die vermeintlich einseitige Berichterstattung in Bezug auf die „Migrations- und Flüchtlingsfrage“ oder etwa „die aktuellen Umerziehungsversuche in Richtung Gendersprache“.

Mit diesem Ersuchen war die Klägerin zunächst beim Verwaltungsgericht München und anschließend am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) gescheitert. In den Entscheidungen wurde argumentiert, der persönliche Vorteil derjenigen, die die Gebühren zahlen müssten, liege bereits darin, das Programm sehen zu können. Dazu wurde auf andere Möglichkeiten verwiesen, Beschwerde bezüglich des angebotenen Programms einzureichen - etwa beim Rundfunkrat.

Bundesverwaltungsgericht anderer Meinung

Überraschend gab das Bundesverwaltungsgericht durch seine Entscheidung vom 15.10.2025 eine andere Einschätzung ab. Demnach sei von den Verwaltungsgerichten zu überprüfen, ob das angebotene Programm des ÖRR tatsächlich vielseitig genug ist. 

Sollte man vor Gericht zu dem Schluss kommen, dass das Programm tatsächlich nicht vielseitig genug ist, sondern etwa bestimmte Darstellungen zu relevanten Themen vernachlässigt, müsse die § 2 Abs. 1 RBStV verankerte Rundfunkbeitragspflicht dem Bundesverfassungsgericht im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit vorzulegen. Hier könnte sodann befunden werden, dass die Rundfunkbeitragspflicht verfassungswidrig und daher nichtig ist angesichts eines zu einseitigen Programms.

Konkret soll dabei ein Zeitraum von nicht weniger als zwei Jahren Sendezeit untersucht werden. Hier gilt es herauszufinden, ob die Berichterstattung des ÖRR tatsächlich zu einseitig ist. 

Argumentation fragwürdig

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist insofern beachtlich, als sie die Möglichkeit eröffnet, von Verwaltungsgerichten die Berichterstattung des ÖRR überprüfen zu lassen. Einer solchen Überprüfung hatten sich diese bisher enthalten. 

Gleichwohl setzt die Entscheidung dieser Überprüfung auch klare Grenzen. Wie es in der mündlichen Begründung der Entscheidung hieß, soll hierfür stets ein Zeitraum von nicht weniger als zwei Jahren in Betracht kommen. Das heißt im Klartext, dass die Frage auch erst zwei Jahre nachdem sie vor einem Verwaltungsgericht behandelt wurde, erneut erhoben werden darf. Das verhindert vor allem eine Klagewelle von Bürgern, die jeweils das Programm des ÖRR als zu einseitig empfinden. 

Außerdem gab das Bundesverwaltungsgericht bereits in der Urteilsbegründung an, die Argumentation der Klägerin sei nach „bisherigem tatsächlichen Vorbringen derzeit überaus zweifelhaft“. Der sechste Senat des BVerwG sieht es also als unrealistisch an, dass Gerichte wirklich zu dem Ergebnis kommen werden, dass zu wenig Vielfalt im ÖRR besteht.

Wer gibt im ÖRR den Ton an?

Als öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der sich schon seiner Natur nach an die ganze Bevölkerung richtet, stellt sich die Frage, in welche Teile der Gesellschaft dort in welchem Maße repräsentiert sind. An dieser Stelle sei an eine wichtige Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2014 erinnert. Damals hieß es im Urteil, „der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder darf insgesamt ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen“. Dieses Urteil ist noch immer aktuell und doch wird der Wert von einem Drittel in dem Großteil der Gremien des ÖRR nicht eingehalten.

Die Otto-Brenner Stiftung hat etwa die Rundfunkräte 2025 genau analysiert und dabei herausgefunden, dass tatsächlich in fast allen Rundfunkräten diejenigen, die dem Staat zuzuordnen sind, die staatsnah sind, oder Parteien angehören, stark überrepräsentiert sind. (Siehe hierzu Seite 34 und 37 im Bericht der O-B-Stiftung).
Von den 12 in der Studie untersuchten Rundfunkräten konnten nur zwei den Wert von einem Drittel einhalten. Das ZDF kommt immerhin auf 60% und übersteigt das vom Verfassungsgericht vorgegebene Drittel somit erheblich. Bei den Verwaltungsräten der Rundfunkanstalten sieht es nicht besser aus. Auch hier ist der Anteil der Politik nur in zwei der untersuchten Räte geringer als ein Drittel. Aus dem Verwaltungsrat des ZDF kommen sogar nur 25% nicht aus der Politik.  

Geheimnis um politische Heimat der Verantwortlichen?

Interessant ist des Weiteren, dass den Rundfunkanstalten offenbar nicht besonders daran gelegen ist, die politische Zugehörigkeit der Mitglieder der Gremien leicht erkenntlich zu machen. Beispielhaft dafür ist der Außenminister a.D. Heiko Maas (SPD). Er wird als Mitglied des ZDF-Fernsehrates und als „zuständig für den Bund“ aufgeführt. Als Beschreibung seiner Person steht allerdings nichts über seine Parteizugehörigkeit sondern lediglich, er sei „Rechtsanwalt“. Das ist zwar per se völlig richtig, aber es stellt sich die Frage, warum nicht auf den ersten Blick eindeutig sein soll, dass der dazu auch ehemaliger Bundesminister und SPD-Mitglied ist. Zwar dürfte den meisten Heiko Maas noch ein Begriff sein, aber es ist nicht ersichtlich, warum sich Anstalten wie das ZDF selbst zur Zielscheibe machen, indem sie so etwas nicht von vornherein offen erkennbar machen.

Unterrepräsentiert in Rundfunkräten

Daraus folgt, dass andere Bevölkerungsgruppen keine oder eine kleinere Repräsentanz haben. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist etwa bei Weitem nicht spiegelbildlich zur Gesamtbevölkerung (S. 40). Während etwa 30 % aller Deutschen einen Migrationshintergrund haben, machen sie nicht einmal 3 % in den Rundfunkräten aus. 

Einer Untersuchung der Zeitschrift Journalistik zufolge ist das Missverhältnis beim Thema Alter nicht weniger spürbar. Die Altersgruppe der bis 21-Jährigen ist demnach gar nicht vertreten. Die Altersgruppe der 21- bis 40-Jährigen ist mit etwa 5 % ebenfalls stark unterrepräsentiert.

Daraus ergibt sich bisweilen das Bild eines - profan ausgedrückt - weißen, alten politischen Establishments, welches bestimmt, wie sich der ÖRR gestalten soll. 

Politische Nähe nicht zwingend erheblich für Urteil

An dieser Stelle sei jedoch daran erinnert: Das aktuelle Urteil zielt auf die Vielseitigkeit des Programms des ÖRR ab und nicht auf die Zusammensetzung der Rundfunkräte oder anderer Gremien. Ein Blick auf die Statistiken gibt aber zu denken. 

Seit dem ersten Rundfunkurteil des BVerfG von 1961 ist klar, dass der ÖRR nicht den Zweck verfolgt, Apparat für staatliche Information zu sein, sondern das Informationsforum der Bevölkerung ist. In dem Urteil heißt es damals, dass „dieses moderne Instrument der Meinungsbildung weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert“ sein dürfe. 

Es bleibt abzuwarten, zu welchen Ergebnissen die Verwaltungsgerichte bei der Überprüfung des Programms im ÖRR kommen. Trotz aller gerechtfertigter Kritik kann man das Programm der öffentlichen Sender wohl nicht als rein einseitig bezeichnen. Man bedenke etwa den unterschiedlichen politischen Charakter eines Jan Böhmermann gegenüber Dieter Nuhr, die beide ihre Shows im ÖRR haben.

Ausblick: Den ÖRR zu dem machen, was er sein soll

Die derzeitige Struktur der Rundfunkanstalten zeigt deutliche Defizite in der politischen Ausgewogenheit - gerade im Hinblick auf die Repräsentanz. Was das Bundesverfassungsgericht 1961 festgelegt hat, ist bis heute keine Realität. Das Urteil zwingt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, seine Kernaufgabe ernst zu nehmen: Vielfalt und Unabhängigkeit. Für Zuschauer bedeutet das, dass Beschwerden über Einseitigkeit künftig stärker juristische Relevanz bekommen könnten.

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