Bundesverfassungsgericht als Superrevisionsinstanz

25. September 2024
Geschrieben von: Benedikt Renschler

Julian Reichelt hat vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer Verfassungsbeschwerde gesiegt. Laut BVerfG handle es sich bei dem Verbot eines Tweets von Reichelt um ein verfassungswidriges Einschränken seiner Meinungsfreiheit aus Artikel 5 I Grundgesetz.

Finanzierung der Taliban durch Bundesregierung

Konkret dreht sich der Rechtsstreit um eine Kurznachricht, die Reichelt am 25.08.2023 auf X, ehemals Twitter, verbreitete. Dort schrieb er plakativ: 

Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro (!!!) Entwicklungshilfe an die Taliban (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?

Dies verlinkte er mit einem Artikel, der darlegte, dass in den vergangenen zwei Jahren insgesamt 370 Millionen Euro an afghanische Hilfsorganisationen gezahlt worden waren, mit dem Hinweis, damit seien sie nicht direkt dem Talibanregime zugeflossen.

Einstweilige Verfügung: Svenja Schulze gegen Reichelt

Bundesentwicklungshilfeministerin Svenja Schulze wollte das weitere Verbreiten der Kurznachricht Reichelts verbieten lassen. Das Kammergericht Berlin gab ihrer Einstweiligen Verfügung in zweiter Instanz statt. Dies wurde damit begründet, der durchschnittliche Leser müsse die Kurznachricht so verstehen, als finanziere die Bundesregierung direkt des Regime der Taliban. Außerdem werde die Ministerin selbst in ihrer Ehre angegriffen.

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Verfrühte Verfassungsbeschwerde?

Das Urteil des KG Berlin sahen Reichelt und sein Anwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel als Anlass, vor das BVerfG zu ziehen. Konkret ging es den beiden darum, das Urteil des KG Berlin schränke Reichelt auf verfassungswidrige Weise in seinem Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) ein.

Interessant hierbei ist der Zeitpunkt der Verfassungsbeschwerde. Grundsätzlich gilt bei Verfassungsbeschwerden laut eigener Einschätzung des BVerfG der Grundsatz der Subsidiarität. Dieser wird dem § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG entnommen, welcher besagt, dass die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden kann. Erschöpfung des Rechtswegs heißt hier üblicherweise, dass es eines Urteils aller Instanzen bedarf, bis man des BVerfG anrufen darf. Ansonsten ist eine Verfassungsbeschwerde üblicherweise nicht zulässig.

Das BVerfG selbst geht darauf in seinem Urteil ein, indem es heißt, ein Hauptsacheverfahren sei Reichelt nicht zumutbar, es sei schließlich keine wirklich neue Betrachtung der Sachlage anzunehmen. De facto nimmt das BVerfG also als Legitimation, den BGH zu übergehen, die Einschätzung, eine weitere Niederlage Reichelts sei ihm einfach nicht zuzumuten.

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Kontext der Kurznachricht klar verständlich

Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde Reichelts nun statt. Es sei für den Leser der Kurznachricht klar erkennbar, dass sie sich auf den beigefügten Artikel bezog. Auch verbreite Reichelt keine falschen Tatsachen, vielmehr falle seine Einschätzung unter die Meinungsfreiheit.

Abkehr vor Grundsatz der Subsidiarität

Obgleich das BVerfG nicht konkret darauf einging, wie der Grundsatz der Subsidiarität, der bislang als maßgeblich für die Zulässigkeit gilt, zukünftig berücksichtigt werde, ist nun anzunehmen, dass eine regelrechte Flut an Verfassungsbeschwerden zu erwarten ist. Das BVerfG hat mit dem Annehmen der Verfassungsbeschwerde Reichelts als „zulässig“ den Grundsatz der Subsidiarität ein Stück weit entwertet.

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