Begnadigungen in Deutschland

24. Januar 2025
Geschrieben von: Benedikt Renschler

Anfang Dezember 2024 begnadigte der scheidende US-Präsident Joe Biden seinen eigenen Sohn Hunter. Dieser war zuvor wegen unterschiedlicher Delikte angeklagt und zuletzt verurteilt worden. Obgleich der Präsident bis dahin gesagt hatte, er werde sich aus der Entscheidung heraushalten, folgte die Begnadigung dann noch vor der Festsetzung des Strafmaßes. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit begnadigte er vorsorglich noch weitere Familienmitglieder und bewahrte sie so vor möglicherweise kommenden Verfahren. Präsident Trump begann seine Amtszeit mit hunderten Begnadigungen - unter anderem der wegen der Ausschreitungen am 6. Januar 2021 Verurteilten. Widerspricht das nicht jeder Rechtsstaatlichkeit? Und gibt es diese Möglichkeit auch in Deutschland? Wir klären auf!

Worin liegt das Problem?

Begnadigungen wirken zunächst eher archaisch. Dass ein Staatsoberhaupt einem verurteilten Menschen Gnade zuspricht und sie damit persönlich von aller Sühne befreit, erinnert eher an eine mittelalterliche, absolutistische Monarchie denn an einen demokratischen Staat. 

Aus staatsrechtlicher Perspektive ist das Konstrukt der Begnadigung insofern nicht unumstritten, als sie zunächst einem Grundsatz der Demokratie zuwiderzulaufen scheint. Die Rede ist von der Gewaltenteilung, also der Gewährleistung der Eigenständigkeit von Judikative, Legislative und Exekutive. Die Eigenständigkeit dieser Organe geht im deutschen Grundgesetz aus Art 20 Abs. 2 hervor. Durch eine Begnadigung greift die Exekutive in einen Bereich der Judikative ein. Dabei soll die Gewaltenteilung ebendies verhindern!

Rechtliche Möglichkeit

In den Vereinigten Staaten gewährt der Art 2 Abschnitt 2 der Verfassung dem Präsidenten ein weitreichendes Begnadigungsrecht. Die Entscheidung, einen Straftäter zu begnadigen, obliegt dem Staatsoberhaupt demnach allein und ist von niemandes Zustimmung abhängig. 

Das Thema Begnadigung findet in Deutschland nicht besonders häufig in die Schlagzeilen. Dabei besteht es hier in fast identischem Rahmen und ist dem Bundespräsidenten vorbehalten. Art. 60 Abs. 2 Grundgesetz (GG) spricht diesem für den "Einzelfalle" schlicht "das Begnadigungsrecht" zu. 

Der Bundestag selbst führt dazu aus, das Begnadigungsrecht erstrecke sich 

  • auf Urteile und Beschlüsse der Strafgerichtsbarkeit (des Bundes), soweit sie zu einer Bestrafung gelangen, auch soweit sie Nebenstrafen aussprechen oder mit gesetzlichen Nebenfolgen verbunden sind;
  • auf Entscheidungen der Disziplinargerichte (des Bundes), durch die Disziplinarmaßnahmen ausgesprochen worden sind und
  • auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, durch die auf Grund des Artikel 18 GG die Aberkennung von Grundrechten ausgesprochen worden ist.

Also auf Entscheidungen mit strafrechtlichem oder strafrechtsähnlichem Charakter haben.

Einzelfälle?

Zu meinen, es käme in der Bundesrepublik selten zu Begnadigungen, ist vielleicht im Vergleich zu Zahlen aus den USA richtig, aber tatsächlich weit gefehlt. Allein Walter Scheel begnadigte in seiner Amtszeit als Bundespräsident von 1974 bis 1979 knapp über 300 Menschen. Richard von Weizsäcker sprach auch fast 300 Verurteilten Gnade zu, wenn auch in zwei Amtszeiten.

Bekannte Beispiele für Begnadigungen in der Bundesrepublik sind die Fälle mehrerer Terroristen der Rote-Armee-Fraktion, etwa Adelheid Schulz und Verena Becker. Die Gründe für eine Begnadigungen können indes stark variieren. Im Fall von Adelheit Schulz erfolgte die Begnadigung durch Bundespräsident Johannes Rau wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes. Begnadigungen aus persönlichen Gründen wie jüngst in den Vereinigten Staaten sind somit auch in Deutschland denkbar. 

Geheimnis um Begnadigung

Regelmäßig diskutiert wird hierzulande der Umgang mit Begnadigungen. So ist es üblich, dass die Begnadigung im Stillen passiert. Das Bundespräsidialamt muss nicht darlegen, in welchen Fällen es zu einer Begnadigung kommt, geschweige denn Zeitpunkt oder Namen des Begnadigten veröffentlichen.

Der Aktivist und Journalist Arne Semsrott hat sich zur Aufgabe gemacht, Begnadigungen transparenter zu machen. Zuletzt erlitt er jedoch am Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg einen Rückschlag. Im Leitsatz des Urteils vom 04.04.2024 heißt es:

Die Ausübung des Gnadenrechts gemäß Art. 60 Abs. 2 und Abs. 3 GG stellt kein Verwaltungshandeln im funktionalen Sinn dar. Sie wird vom presserechtlichen Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht umfasst.

Meinungen aus der Rechtswissenschaft

Für einen Teil der Rechtswissenschaft ist es folgerichtig, dass der Bundespräsident bei einer Begnadigung als Verfassungsorgan eine verfassungsrechtliche Befugnis wahrnimmt. 

Doch es gibt auch viele Kritiker. Verschiedene Stimmen finden es unverständlich, dass davon, ob der Bundespräsident als Behörde oder als verfassungsrechtliches Organ handelt, abhängen soll, ob es den presserechtlichen Auskunftsanspruch geben soll. Die Strafrechtsprofessoring Elisa Hoven geht sogar so weit, das Gnadenrecht als solches in Frage zu stellen. Dieses sei doch ein „antiquiertes Majestätsrechht, das abgeschafft gehört.“

Fazit

Unabhängig, wie man die Gegenwart in den USA bewerten möchte gilt: In Deutschland ist manches davon theoretisch auch möglich. Dies zeigt umso mehr, dass die Wehrhaftigkeit, die unserer Demokratie zugeschrieben wird, von den Menschen abhängt, die sie ausüben: Denn Schlupflöcher zum Missbrauch von einst vielleicht gut gemeinten Regelungen sind vielgestaltet.  

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