Der Europäische Gerichtshof hatte bereits am 22.09.2022 die Rechte von Arbeitnehmer*innen gestärkt, indem er auf eine Vorlagefrage antwortet, dass "der Arbeitgeber den Arbeitnehmer [...] tatsächlich in die Lage versetzte[n muss]", Urlaub wahrzunehmen. Schafft er nicht die Voraussetzungen, dass seine Arbeitnehmer*innen Urlaub nehmen können, steht europäisches Recht gegen die deutschen Verjährungsregeln. Der Bundesgerichtshof hat nun zum ersten mal auf die neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs reagiert (Az.: 9 AZR 245/19).
Wir haben die Vorgeschichte in diesem Beitrag zusammengefasst. In aller Kürze entschied der Europäische Gerichtshof, das Artikel 7 der Richtline über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung den deutschen Verjährungsfristen entgegen stehe, die normieren, dass Urlaubsansprüche regelmäßig in 15 Monaten verjähren.
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Ein schwerbehinderter Frachtführer macht gegenüber seinem Arbeitgeber, einer Flughafengesellschaft in Frankfurt 2019 Resturlaub aus 2014 geltend. Er machte geltend, dass er aus gesundheitlichen Gründen zwischen dem Dezember 2014 bis August 2019 nicht arbeiten könne. Die Fluggesellschaft habe ihm keine Gelegenheit gewährt, den Urlaub wahrzunehmen. Daher sei er nicht verjährt.
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Das Bundesarbeitsgericht löste sich von der 15 monatigen Verjährungsfrist und glich seine Rechtsprechung derjenigen des Europäischen Gerichtshofs an: Arbeitgeber hätten die Obliegenheit, Gelegenheiten zur Urlaubswahrnehmung zu schaffen. Obliegenheiten stellen keine "echten" einklagbaren Verpflichtung dar. Sie entfalten aber negative Auswirkungen, wenn gegen sie verstoßen wird.
aber, dass wenn gegen sie verstoßen wird, sie nachteilige Auswirkungen für den Verstoßenden Teil haben kann.
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Ferner stellte das Gericht ausdrücklich klar, dass Urlaub noch in der 15 monatigen Frist verjähren kann. Nämlich entweder, wenn eine Gelegenheit zur Urlaubswahrnehmung geschaffen habe (also seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist) oder wenn der Arbeitgeber gar keine Möglichkeit habe, der Obliegenheit nachzukommen. Das sei der Fall, wenn Arbeitnehmer*innen von Beginn an des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des Folgejahres selbst an der Wahrnehmung des Urlaubs gehindert waren.
Dem Frachtführer stehe daher noch Urlaub aus dem Jahr 2014 zu, weil er während des Jahres gearbeitet habe und sein Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen sei.
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Die Mitwirkungsobliegenheit von Arbeitgebern ist nicht explizit gesetzlich geregelt. Sie umfasst jedoch, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitneher*innen klar verständlich darauf hinweist, wie viel Resturlaub Ihnen noch zusteht und wann dieser verjährt. Der Arbeitgeber muss bei der Unterrichtung ausreichend "klar" handeln und sich auf konkrete Urlaubsansprüche beziehen. Konkret muss also der Arbeitgeber:
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Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts fügt sich in die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein, der über das europarechtlich geprägte Arbeitsrecht die Auslegungshoheit besitzt. Arbeitgeber müssen reagieren und Strukturen schaffen, um ihre Beschäftigen über verfallenden Urlaub klar zu informieren. Für Arbeitnehmer*innen ist die Entscheidung ungleich erfreulicher.
Wenn Sie Fragen rund um das Thema Urlaub, Urlaubsgewährung, Verfall von Urlaubsansprüchen, Urlaubsgeld, Übertragung von Urlaub etc. haben, wenden Sie sich an unsere Fachanwälte für Arbeitsrecht und vereinbaren einen Termin. Wir stehen Ihnen gerne und jederzeit für alle Fragen zur Verfügung. Rufen Sie uns an 0201/24030.
Schumacher | Rechtsanwälte · Notare · Steuerberater
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